
In den letzten Wochen habe ich meinem jüngsten Sohn an der Bettkante eine ganze Kinderbibel erzählt. Nicht frei nach den Bildern wie bisher, sondern nahe am abgedruckten Text, weil er das Vorlesen liebt.
Es war die Bibel, die ich in meiner Pfarramtszeit den meisten Tauffamilien schenken durfte. Die Bilder finde ich immer noch toll, aber der Text liess mir die wenigen Haare auf meinem Kopf zu Berge stehen.
Ein unsympathischer Kerl, dieser „Gott“, von dem da erzählt wird.
So wie in der Kinderbibel von G*tt erzählt wird, hat das nichts, rein gar nichts mit der Lebenswelt von Kindern zu tun. G*tt wird als personifiziertes männliches Wesen im Himmel dargestellt, das zu Menschen spricht, das sie seine Stimme hören lässt, das Dinge formt und Menschen straft, seinen Sohn ans Kreuz nageln lässt, in Gefängnissen Schlösser knackt und am Schluss eine goldene Stadt aus dem Himmel herabschweben lässt.
Ein unsympathischer Kerl, dieser „Gott“, von dem da erzählt wird, und ich habe Verständnis für meine Tochter, die kein sonderliches Interesse an diesem „Gott“ hat und bei jeder Gelegenheit betont, dass es den ja gar nicht gebe.
Auch wenn ich gerne sehen würde, dass die Faszination für die biblischen Geschichten, wie ich sie schon als Kind hatte, sich bei ihr fortsetzen würde.
Heute wissen wir, dass authentische Emotionen eine religiöse Haltung viel stärker transportieren als Worte. Und wenn Worte der unbewusst übertragenen Gefühlslage widersprechen, wird alles, was religiös ist, als widersprüchlich oder gar unehrlich verdrängt. Möglicherweise lebenslang.
Was macht uns so sicher, dass G*tt „im Himmel“ ist? Dass Menschen seine Stimme hören? Dass G*tt einen Plan hat? Dass G*tt straft und belohnt?
Besteht Glaube aus der Überzeugung, dass G*tt so sei?
Oder wäre Glaube eher die Offenheit dafür, dass G*tt uns in unserem Leben begegnen könnte? Dass von G*tt in vielfältigen Bildern und Metaphern gesprochen werden kann, aber nie in Definitionen? Dass G*tt in jedem Leben spürbar sein kann, wenn wir achtsam sind? Dass Fragen bessere Zugänge bieten als Antworten?
Ich suche nun nach Möglichkeiten, die Schätze an alten Geschichten so zu erzählen, dass sie für Kinder und Menschen heute zugänglich werden. Dass sie mit ihren eigenen Fragen anknüpfen können und „Gott“ für sie ein lebendiger Begriff wird.
Ich habe in diesem Zusammenhang Gott nicht starr als Vater gesehen. Auch das Bild bzw. die Beziehung ist Lebendig und im Wandel. Im Laufe meiner Lebensgeschichte änderte sich das immer wieder.
Ich wünsche uns allen,dass wir auch Änderungen in der Beziehung zu G*ott erleben können.
Diese Gedanken sind sehr inspirierend und interessant. Die Frage: was würde ich tun, wenn Gott mein Leben auf den Kopf stellen will. Lasse ich mich darauf ein? Wenn wir das auf die Gemeinde/n übertragen, sind wir wirklich bereit und offen dafür? Bedeutet das dann nicht, dass wir vielleicht lieb gewonnenes in Frage- vielleicht loslassen müssen? Natürlich es heisst in der Bibel “ wir sollen uns kein Gottesbild machen “ oft sind es jedoch Bilder, welche uns dabei helfen, besser zu verstehen. Ich finde nicht, dass das ein Widerspruch ist. Jesus hat in den Gleichnissen, genau solche Bilder gebraucht, damit die Botschaft verstanden wird. Worte, Annäherung an einen Text sind wichtig. Mir scheint es aber viel kraftvoller zu sein, ob wir als einzelne oder als Gemeinden quasi als Gleichnis wirken!? Und nochmal die Frage: sind wir bereit Veränderung zu zu lassen? Das bedeutet dann, erneut „Reformiert zu werden“ wagen wir es
Sie kommen auf einen spannenden Punkt: Wir brauchen Bilder, um (einander) zu verstehen und um unser Leben immer wieder neu auszurichten und es aktiv zu gestalten. Ich würde diese Bilder lebendige Bilder nennen, wie Jesus sie in seinen Gleichnissen verwendet hat, aber auch vor ihm Prophet:innen und nach ihm Mystiker:innen. Kurz, von Gott berührte und bewegte Menschen, wie es sie auch heute noch unter uns gibt. Lebendige Bilder sind nicht starr. Sie verbinden sich mit Bildern aus unserer je eigenen und persönlichen Erfahrung und bringen in Verbindung damit neue tragkräftige Bilder hervor. Lebendige Bilder sprechen mich oder dich an, ohne dass jemand explizit sagen muss: „Dieses Bild hat jetzt den Anspruch, …“ Sie wirken implizit. Und wir machen ständig neue. Ein bewegter Bilderreigen.
Im Gegenteil dazu Bilder vom Kaliber eines Gottesbildes. Sie würde ich als erstarrte Bilder bezeichnen. Sie schliessen sich nicht mehr an meine Erfahrungen an, weil sie von gewissen Kreisen auf einen Sockel gestellt wurden und als festgeschrieben gilt, dass genau diese Bilder zu verwenden sind und Gott nur in ihnen zu verehren ist. Bilder, die abgetrennt sind von Wechselwirkungen mit der Welt. Bilder ohne Weltbezug, weltfremde Bilder. Dazu gehören für mich aktuell Bilder wie „Herr“, „Herrscher“, „Richter“, „König“, „Herr der Heerscharen“ und in der Tendenz auch „Vater“, wenn darin väterliche Autorität mitklingt.
Möglicherweise wird ein Teil dieser erstarrten Bilder aber wieder lebendig, wenn wir sie neu mit Lebensbezug verbinden, sie ins Wasser werfen oder sie im Garten vergraben. Wenn neue lebendige Bilder sprudeln, ist das in meiner Sicht aber nicht notwendig.
„bilder und metaphern, aber nie definitionen?“ das wäre aber doch gerade eine definition. 😉 „sag nie nie!“ etwas vom besten, was je gesagt wurde. es gab immer wieder situationen, wo die definition unabdingbar war. und es gibt sie und wird sie geben. es wäre schön, gäbe es nur schönwettertheologie. zu schön vielleicht. jedenfalls: es ist nicht so.
„Wäre Glaube eher die Offenheit dafür, dass
1) G*tt uns in unserem Leben begegnen könnte?
2) von G*tt in Bildern & Metaphern gesprochen werden kann, ohne Definitionen?
3) G*tt in jedem Leben spürbar sein kann, wenn wir achtsam sind?
4) Fragen bessere Zugänge bieten als Antworten?“
–>Ja, Mut & Bereitschaft zu dieser Offenheit können belebend & befreiend wirken.
Und setzen voraus, dass wir die Verunsicherung aushalten, die damit einhergeht..
*Was, wenn G*tt mir begegnet und mein Leben umkrempelt?
*Wie verständigen wir uns als Gruppe, wenns mehr Fragen als Botschaften gibt?
*Was bedeutet es, wenn so viel von meiner Achtsamkeit abhängt?
*Statt Klarheit & Antworten gibts weitere Fragen – [wie] halte ich das aus?
–>Diese Offenheit im Umgang mit den Lebensthemen wirkt inspirierend auf mich.
Sie erinnert mich an die Art wie Erasmus von Rotterdam 1519 das 2. Testament neu übersetzte, & dabei im Johannesevangelium das griechische ‚Logos‘ nicht mit dem lateinischen ‚Verbum‘ (Wort) übersetzte, sondern mit ‚Sermo‘ (Gespräch)
Begeistert schreibt der Autor & Journalist Thomas Schmid:
„Also: ‚Im Anfang war das Gespräch, und das Gespräch war bei Gott, und Gott war dieses Gespräch.‘ Man stelle sich vor, diese Übersetzung hätte sich durchgesetzt. Wechselrede, Gespräch, Disputation: Es wäre eine Wendung des Verhältnisses der Menschen zu Gott ins Dialogische gewesen – was für eine Öffnung!“
[https://schmid.welt.de/2016/11/02/am-anfang-war-das-gespraech-ueber-erasmus-von-rotterdam-die-einheit-der-christen-und-die-einigung-europas]
Ich teile Thomas Schmids Begeisterung für diese mögliche Öffnung.. und bin mir bewusst, dass sie viele neue Fragen aufwerfen würde:
I) Basiert die Rolle der Amtskirche als ‚Verkündigerin‘ auf der Annahme, G*tt & sein Wort seien ‚fix & gegeben‘, & sie die Verwalterin & Verteilerin dieses Worts? (=Ein-weg-kommunikation!)
–>Was, wenn wir die Idee zulassen, G*tt ereigne sich im Austausch & Prozess?
II) ‚Gottes Geist weht, wo er will‘ – sind Kirchen (Gebäude & Gemeinschaften) so offen, dass Gottes Geist in ihnen wehen kann? Und wenn ers tut, merken sies?
–>Anders als in einer Frage & Antwort-liste [wie in einem Katechismus] gehts erst richtig los, wenn ich oder eine Gemeinschaft eine Frage als relevant erkenne: diese Fragen lassen sich nicht verbal lösen, sondern wollen im täglichen Handeln & Sein gelebt werden. Statt Antworten bekomm ich die Frage: wie leb ich verantwortlich?
„*Was, wenn G*tt mir begegnet und mein Leben umkrempelt?
*Wie verständigen wir uns als Gruppe, wenns mehr Fragen als Botschaften gibt?
*Was bedeutet es, wenn so viel von meiner Achtsamkeit abhängt?
*Statt Klarheit & Antworten gibts weitere Fragen – [wie] halte ich das aus?“
„Was, wenn wir die Idee zulassen, G*tt ereigne sich im Austausch & Prozess?“
„‚Gottes Geist weht, wo er will‘ – sind Kirchen (Gebäude & Gemeinschaften) so offen, dass Gottes Geist in ihnen wehen kann? Und wenn ers tut, merken sies?“
„… wie leb ich verantwortlich?“
Sehr schöne Fortsetzung meiner Gedanken. Ich fühle mich von ihren weiterspinnenden Fragen ernster genommen als von manchen Antwortversuchen und spinne gerne weiter:
-> Was, wenn in kirchlichen Gemeinschaftsfeiern tatsächlich das zur Sprache käme, was die Menschen gerade drückt oder bewegt? Und das in Gesprächsform statt gepredigt?
-> Was, wenn wir feststellen, dass viele Menschen G*tt ausserhalb der Kirche begegnen, beim Waldspaziergang, in Begegnungen mit Tieren, beim Spielen mit Kindern, in Fremden, in der Pflege von kranken Menschen und in der Begleitung von Sterbenden? Können wir dann noch von innerhalb und ausserhalb der Kirche sprechen?
-> Was, wenn wir lernen, dass es im Zusammenhang mit G*tt bloss ein „vielleicht“ und vielleicht ein „hoffentlich“, aber kein „ganz bestimmt“ gibt?
-> Was, wenn ich jeden Moment sehr aufmerksam, achtsam sein muss, was ich wie tue, und nicht pauschal nach Routine verfahren kann?
-> Was, wenn wir entdecken, dass G*tt in jedem Wort steckt, wenn es in Liebe und Zuwendung geäussert wird?
-> Was, wenn wir keine Garantie bekommen, dass wir die Guten sind oder das Richtige tun?
-> Was, wenn auf diesem Weg nochviel mehr Fragen aufkommen, so dass eine Stunde am Sonntagmorgen zu kurz ist?
-> Was, wenn Fragen und Weiterfragen so spannend, so elektrisierend, so geil wird, dass viele damit nicht mehr aufhören können?
-> Was, wenn wir eine Gesprächsgemeinschaft werden statt einer Gesinnungsgemeinschaft oder einer Glaubensgemeinschaft?
-> Was braucht es für Voraussetzungen, um dieser Gesprächsgemeinschaft anzugehören, ausser dass man Fragen stellt und Fragen anderer anhört?
„Es existieren derart gute Fragen, dass es schade wäre, die mit Antworten kapputtzumachen. Es existieren Fragen, die wie ein Fenster geöffnet bleiben sollten. Diese Offenheit muss nicht zur Resignation führen, sondern in die Kontemplation.“ … „In mir ist jedoch allmählich die Überzeugung gereift, dass Gott eher als Frage, denn als Antwort an uns herantritt.“
(aus Tomás Halík. Ich will, das du bist. Neuausgabe 2019, S.11)