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Extraeinladung ins Theologiestudium

Werbung für das Quereinstiegsstudium Theologie; gelb mit Foto von Claudia Daniel-Siebenmann

Verfasst von Claudia Daniel-Siebenmann

Ich – als aktives Gemeindemitglied und Mitglied der Kirchenpflege – wurde damals von drei unterschiedlichen Personen angesprochen. Sie hielten mir den Flyer für’s Quereinstiegsstudium Theologie unter die Nase und fragten: „Wär‘ das nicht was für Dich?“ Beim ersten Mal hab ich mir gedacht: was für ein Blödsinn, ich hab schon einen Job. Beim zweiten Mal dachte ich: Hoppla, schon wieder?! Beim dritten Mal hab ich mir dann auf der Webseite die Zulassungsbedingungen angeschaut und festgestellt, dass ich alle erfülle. Etwa vier (anstrengende) Jahre später wurde ich als Pfarrerin ordiniert.

Meine kleine Geschichte zeigt exemplarisch: Der Einstieg ins Theologiestudium – egal ob regulär oder quer – ist primär Beziehungsarbeit. Gemeindemitarbeitende, die ihre Freiwilligen kennen, ansprechen und über Möglichkeiten informieren, sind zentral für die Nachwuchsgewinnung im Pfarramt (wie auch für die Bereiche Sozialdiakonie, Katechetik und andere kirchliche Berufe). Diese Beziehungsarbeit ist heute nötiger denn je, denn der Nachwuchsmangel ist akut.

Keine Ordinationen im Jahr 2024

Normalerweise finden am dritten Sonntag im August die Ordinationen statt, und üblicherweise wird in der September-Ausgabe des a+o darüber berichtet: mit Bildern und mit einer Vorstellung der frisch Ordinierten. Nicht so in diesem Jahr. Der Grund dafür: Es gab in diesem Jahr keine Ordinandinnen und Ordinanden. Der Nachwuchsmangel wird auf einmal deutlich sichtbar und wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen.

Situation in der Deutschschweiz

Die Arbeitsstelle Nachwuchsförderung Theologie ermittelt jedes Jahr Daten zur Anzahl von Pfarrstellen, Vakanzen, Ordinationen und Pensionierungen sowie die Verteilung auf Alter und Geschlecht in den reformierten Landeskirchen der Deutschschweiz. Die Auswertung mit Stichtag 31. Dezember 2023 zeigt, dass die grosse Welle der Pensionierungen zwischen 2026 und 2030 erwartet wird (siehe Graphik). Den jährlich knapp 100 Pensionierten stehen dann nur wenige Studienabsolventinnen und -absolventen gegenüber. Zwischen 2018 und 2020 ging die Anzahl Studierender an den Deutschschweizer Fakultäten jedes Jahr um durchschnittlich 20 Prozent zurück. Dieser Trend hat sich zwar etwas abgeflacht, ist aber ungebrochen: Seit 2020 beträgt der jährliche Rückgang 13.5 Prozent. In den letzten fünf Jahren wurden in der Deutschschweiz jährlich durchschnittlich 30 Pfarrpersonen ordiniert – zu wenige, um die Pensionierten zu ersetzen. Insbesondere da auch die Teilzeitstellen seit 2015 leicht, aber doch kontinuierlich zunehmen. Junge Menschen möchten Beruf und Privates besser trennen können. Daher arbeiten immer mehr Pensionierte auch nach der Pensionierung weiter – heute viermal mehr als vor neun Jahren.

Liniengraphik der anstehenden Pensionierungen von Pfarrpersonen bis ins Jahr 2040 und den erwarteten Ordinationen: eine grosse Lücke wird sichtbar.

Situation in der Aargauer Landeskirche

Die Situation im Aargau entspricht diesem Bild: Von den 142 Pfarrstellen in Aargauer Kirchgemeinden sind derzeit 15 vakant und 15 mit Stellvertretungen besetzt. 33 Pfarrpersonen (davon 7 Stellvertretungen) sind über 60 Jahre alt, werden also innerhalb der nächsten fünf Jahre pensioniert. Demgegenüber stehen 22 Theologiestudierende, die der Landeskirche derzeit gemeldet sind. Sieben von ihnen haben bereits das Ekklesiologisch-praktisches Semester EPS absolviert. Im Jahr 2025 ist voraussichtlich mit 2 Pfarr-Ordinationen zu rechnen. Insbesondere jüngere Pfarrpersonen arbeiten häufiger in Teilzeitpensen als ältere. Während 51 Prozent der über 60-jährigen in Vollzeitpensen (90-100 Prozent) tätig sind, arbeiten nur 32 Prozent der Pfarrpersonen unter 60 Jahren im Vollzeitpensum. Auf eine pensionierte Vollzeit-Pfarrperson müssen also mehrere Teilzeitangestellte folgen, wenn man die Stellenprozente wieder gleich besetzen will. Der Altersdurchschnitt der Stellvertretungsliste liegt bei 65.7 Jahren. Als Stellvertretung stehen also zumeist Frischpensionierte zur Verfügung. Die Anzahl zur Verfügung stehender Stellvertretungen hat während der letzten fünf Jahre um 15 Prozent abgenommen, wird jedoch möglicherweise aufgrund der anstehenden Pensionierungswelle zumindest kurzfristig noch einmal anwachsen.

Veränderungen im Berufsbild

Der akute Nachwuchsmangel wird verschiedene Auswirkungen haben: Kooperationen bzw. Fusionen von Kirchgemeinden werden auch aus diesem Grund unumgänglich. Regional-, Innovations- oder Projektpfarrämter werden nötig werden. Die Arbeit wird zukünftig verstärkt in interprofessionellen Teams stattfinden. Dies bedingt eine Wertschätzung von anderen Berufen, Ehrenamtlichen, Freiwilligen und Laienpredigenden: Sie sollen nicht nur Lückenbüsser sein, sondern sich einbringen können. Der Pfarrmangel zwingt dazu, kirchliche Strukturen neu zu denken. Auch das Berufsbild Pfarramt wird sich zwangsläufig ändern (müssen): Pfarrpersonen als Coaches sind gefragt, Veränderungen zu gestalten.

Kurzfristige Massnahmen

Kurzfristig kann der Pfarrmangel durch attraktive Möglichkeiten, nach der Pensionierung weiterzuarbeiten, gemildert werden. Im Rahmen des Kirchenreformprozesses wird dieses Thema, wie auch das Thema Residenz- und Wohnsitzpflicht, aufgegriffen. Bessere Stellenausschreibungen und gute Arbeitsbedingungen können auf Kirchgemeindeebene helfen: Bei Stellenentscheidungen ist für Berufseinsteigende neben der geographischen Lage vor allem das theologische Profil der Kirchgemeinde entscheidend. Familienverträgliche Stellenpensen, eine Aufhebung der Wohnsitzpflicht, Mitgestaltungsmöglichkeiten, Möglichkeiten, Schwerpunkte zu setzen, sowie ein professionelles Bewerbungsverfahren sind ebenfalls ausschlaggebend. Pfarrwahlkommissionen können sich für den Ausschreibungs- und Einstellungsprozess beraten lassen.

Anpassung der QUEST-Zulassungsbedingungen

Der QUEST-Studiengang richtet sich an Quereinsteigende ins Pfarramt. Bisher war als Zulassung für dieses gestraffte Theologie-Studium an den Universitäten Basel und Zürich ein Master-Abschluss eines anderen Studienfachs notwendig. Neu haben die reformierten Kirchen des Konkordats beschlossen, dass der Bachelor eines nicht-theologischen Studiums einer Universität oder Fachhochschule ausreicht, sofern diese Personen eine Reflexionsarbeit verfassen, die die Fähigkeit zum akademischen Arbeiten zeigt, und während des Studiums eine Lehrveranstaltung zu wissenschaftlichem Arbeiten besuchen. Damit ist der Zugang zum Quereinstiegsstudium auch Personen aus anderen sozialen Berufen (Lehrberuf, Sozialpädagogik, Pflegeberufe, Psychologie), sowie für Absolventinnen und Absolventen einer Musik- oder Kunsthochschule möglich. Weiterhin laufen derzeit Bestrebungen, Studierenden dank eines neuen Bachelors den schnelleren Einstieg in den Pfarrberuf zu ermöglichen.

Nachwuchsförderung Theologie

Für 16- bis 22-Jährige, also nach der Konfirmation in der Berufsfindungsphase, macht die Arbeitsstelle «Nachwuchsförderung Theologie» zahlreiche Angebote: zum Beispiel das Reisespiel «Kreuz und quer», Workshops mit Persönlichkeiten aus Kirche, Gesellschaft, Politik, den «Campus Zürich», TheoTrails in verschiedenen Städten, oder das Jugendfestival REFINE 2025, vom 31. Oktober bis 2. November 2025 in Zürich. Zentrales Element dieses Live-Marketings ist die Ermöglichung persönlicher Kontakte und Begegnungen. Imagebroschüren und Werbung auf Social Media ergänzen das Live-Marketing.

In den Kirchgemeinden aktiv werden!

Die Angebote der Arbeitsstelle «Nachwuchsförderung Theologie» bekannt zu machen, liegt primär in den Händen der Kirchgemeinden. Barbara Schlunegger, Leiterin der Arbeitsstelle, sagt: «Nachwuchsförderung kann man nicht an eine Behördenstelle abdelegieren. Jede Kantonalkirche muss ihren eigenen Nachwuchs züchten.» Denn: Theologie-Studierende haben praktisch immer einen Bezug zur Kirche. Eine Studie zeigt, dass den meisten jungen Theologie-Studierenden sechs bis neun positive Kontaktpunkte mit Menschen aus Kirche und Theologie den Weg ins Studium geebnet haben. Den Pfarrerinnen und Pfarrern kommt dabei eine besondere Vorbild-Rolle zu: Befragungen von Theologie-Studierenden zeigen, dass das vermittelte Berufsbild und die Freude an der Arbeit wichtige Gründe für die Wahl eines Theologiestudiums sind. Befragungen von Studienabbrechern ergaben ein ähnliches Bild: Das Studium wurde meist positiv erlebt, wohingegen negative Erfahrungen mit Pfarrpersonen, in Kirchgemeinden oder mit der Institution Kirche zum Abbruch des Studiums oder Vikariats führten.

Der grösste Hebel zur langfristigen Nachwuchssicherung im Pfarramt liegt also in den Händen der Kirchgemeinden und der Pfarrpersonen. Da abseits der Kirchgemeinden nahezu kein Nachwuchs generiert wird, muss jede Kirchgemeinde – gemäss ihrem eigenen Bedarf an Pfarrpersonen – bemüht sein, geeignete Theologiestudierende hervorzubringen. Beziehungspflege und Jugendarbeit in den Kirchgemeinden sind daher essenziell – umso mehr, da die Aargauer Landeskirchen ab 2025 nicht mehr mit Religionsunterricht an den Kantonsschulen präsent sein werden.

Um dieses Thema in den Kirchgemeinden nicht aus den Augen zu verlieren, wäre es gut, eine verantwortliche Person für Nachwuchsförderung zu benennen, die in Kontakt zur Arbeitsstelle Nachwuchsförderung steht, Aktivitäten für Jugendliche in der Berufsfindungsphase anbietet, geeignete Jugendliche aktiv anspricht, auf Anlässe aufmerksam macht, Vernetzung anbietet. Nicht nur Jugendliche, sondern auch kirchlich aktive Erwachsene können angesprochen und auf die Möglichkeiten zum Quereinstieg hingewiesen werden.

Verfasst von Claudia Daniel-Siebenmann

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Eingestellt von Informationsdienst der Landeskirche

Der Informationsdienst der Landeskirche, Claudia Daniel-Siebenmann und Barbara Laurent, leiten und administrieren den Blog der Reformierten Landeskirche Aargau.

2 Kommentare

  1. zugleich stellt sich aber die frage, was jugendlichen vermittelt werden soll. jahrzehnte nachdem mein interesse im religionsunterricht geweckt worden war, war ich enttäuscht darüber, dass die monistische version in der kirche, in der schule oder an der uni nie auch nur erwähnt worden war. in meiner jugend sah ich nachts einst schräg über einen berg hinweg, was ich, eben jahrzehnte später, als erleuchtung verstehen konnte. alles – auch dass wir sie als solche wahrnehmen – kommt aus ihr. aus ihr heisst, sobald wir einmal sind, auch aus uns. aus psalm 8 vernahm ich damals, dass die sterne von etwas, jemand anderem, als sie selbst ist, hingesetzt worden seien. der kosmologische zugang zieht. „hillsong united“ haben grossen erfolg mit ihrem song „so will I“. wie in psalm 8 ist es ein eben doch männliches wesen, aus dessen wort hundert milliarden galaxien geboren werden. jugendliche, die daran sind, das elternhaus zu verlassen: wollen die das, dass, wenn sie in die welt, ins universum hinausgehen, das wiederum ein elternhaus ist? vielleicht gefällt es ihnen, dass ein himmlischer vater die lilien des feldes schöner kleidet als salomo. bei schönem wetter, ja! aber schauen wir dann mal, wie es aussieht, wenn ein sturm darüber gefegt ist. ein aus sich selbst seiendes würde sie in ihrem willen zur selbständigkeit vielleicht mehr überzeugen – zumal als es als sein eigener ursprung einer menschlichen person verglichen werden kann, die etwas schafft, und als sich selbst entsprungenes ihrer schöpfung. „wenn das vollkommene kommt, wird, was aus teilen (zb ursprung und entsprungenes) ist, abgetan.“ warum den jugendlichen nur das erkennen vermitteln, das, wie 1kor 13.9-12 impliziert, unvollkommen ist? oder warum das erkannte gleich als unsagbar erklären, wenn es doch in noch näher zu bestimmender weise gesagt werden kann, und gleich auch noch die letztbegründung des liebesgebotes wegfallen würde. wenn paulus dann im folgenden vers sagt, von den drei bleibenden glaube, hoffnung und liebe sei die liebe (nicht nur als gebot) die grösste, entspricht das, finde ich, genau dem vorangehenden: glaubenserkenntnisse, aus denen die hoffnung geboren wird, wie zb dass jahwe den erzvätern und auch mal einer frau wie hagar erscheint und ich würde sogar sagen das licht der welt, erweisen sich als teilerscheinungen der genannten erleuchtung. wer den song hören will: ich empfehle unbedingt die live version. ab 05:00 zeigt sich dann, wie die überwindung des todes, das licht der welt in der finsternis, im verhältnis zur schöpfung nochmal eine steigerung darstellt, was on stage und im publikum deutlich zum ausdruck kommt. es erweist sich, wie sehr das leben nach dem verlassen des grabes eben gerade nicht eine vertröstung auf das jenseits ist, wie stark es sich auf die gegenwart auswirkt. wie der sänger 8:08 den schlusston trifft, hört man in der für mein ohr fast an kitsch grenzenden studioversion nicht.
    https://www.youtube.com/watch?v=ibVDol1CPxM
    https://www.reflab.ch/summertime-special-9-hillsong-united-so-will-i/

  2. Esther Stauffer-Moser 26. August 2024 um 13:30 Antworten

    Danke, die Herausforderungen sind treffend beschrieben! Persönlich kenne ich verschiedene junge Theologiestudentinnen. Die Passung zwischen der Berufsmotivation der jungen Theologinnen und der Realität in den Kirchgemeinden weist einen grossen Gap auf. Sie zu gewinnen erfordert verschiedene Reformen und könnte eine Chance sein.

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