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Fragen zur Mitgliedschaft: Member Cards für Kirchgemeinden?

Grafik einer Personengruppe
Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Die Fragen des Monats zum Thema Mitgliedschaft:

  1. Fühlen Sie sich aufgrund Ihrer Kirchenmitgliedschaft verpflichtet, an kirchlichen Veranstaltungen teilzunehmen?
  2. Sind Sie enttäuscht, wenn andere Gemeindemitglieder sich nur selten in der Kirche blicken lassen?
  3. Wenn die Kirche ÖV wäre: Welches Ticket würden Sie lösen: GA, Verbundticket, Einzelfahrt? Familienkarte mit Hund; oder wären Sie explizit immer mit dem eigenen Auto unterwegs?
  4. Welches Ticket bzw. Mitgliedschaftsmodell wäre für Ihre Kinder oder Ihre Nachbarn am besten geeignet?
  5. Wie wichtig ist Ihnen Ihr Mitbestimmungsrecht in der Kirchgemeinde? Welchen Themen sind Ihnen dabei am wichtigsten?

 

Einige Gedanken zum Thema Mitgliedschaftsmodelle. Verfasst von Claudia Daniel-Siebenmann, Leiterin Kommunikation

Kürzlich habe ich – auf meine landeskirchliche Mailadresse – folgendes Werbe-Email erhalten: «Ich wollte dich fragen, ob euer Verein bereits eine Mitgliederkarte hat? Wir von MemberCard haben ein System entwickelt, auf dem die Mitgliedschaft sowie Credits, Eintritte, Freigetränke usw. hinterlegt werden können. Die Mitglieder können jederzeit ihr Guthaben selbst überprüfen und dein Team kann entsprechend Guthaben abziehen oder hinzufügen. Bist du interessiert an einer MemberCard?»

Zuerst musste ich etwas schmunzeln: «Credits» fürs Himmelreich wurden ja während der Reformation abgeschafft. Eintrittskontrollen beim Gottesdienst sind – Gott sei Dank – seit dem Corona-Lockdown auch nicht mehr nötig. Meist gibt es ja genügend freie Plätze. Ob der Kirchenkaffee als Freigetränk die Publikumsscharen herbeilockt, halte ich eher für fraglich.
Was sich bei der Kirche unter dem Kürzel «usw.» verbergen könnte, darüber musste ich ein Weilchen nachdenken. Vielleicht dies: «Ihnen als Kirchenmitglied steht gemäss Kirchenordnung ein Abendmahl an Pfingsten zu. Bitte erscheinen Sie für den Empfang pünktlich kommenden Sonntag, 10 Uhr, in der Kirche.» So eine Ansage würde zumindest gut in die reformierte Tradition passen: Zwingli legte in seiner Neuordnung der Abendmahlsliturgie vier Abendmahlstermine pro Jahr fest – in der Absicht, dass die Leute zu diesen Terminen auch erscheinen, also öfter als vorher am Abendmahl teilnehmen (Originalquelle: CR 91,17 – für diejenigen, die sich gern durch historische theologische Schriften wühlen). Eine unbefriedigende Teilnahme an Gottesdiensten und am Abendmahl kannte also schon Zwingli. Diese Situation hat sich in den letzten 500 Jahren noch etwas akzentuiert.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen der Kirche dachte ich, vielleicht ist eine «Member Card» für Kirchgemeinden ja gar keine so dumme Idee. Man hätte damit die Möglichkeit, verschiedene Mitgliedschaftsmodelle anzubieten:

  • Das lokale Pauschal-Abo: «Abonnieren Sie zum Pauschalpreis alle Gottesdienste, Jugendanlässe, Kirchenkaffeeteilnahmen, bedarfsgerechte Kasualien, Seelsorgebesuche und weitere Angebote Ihrer örtlichen Kirchgemeinde. Für die ganze Familie – ein Leben lang! Das Mitbestimmungsrecht an der Kirchgemeindeversammlung ist im Paket enthalten.»
  • Die kantonale Flatrate: «Sind Sie gerne unterwegs und ärgern sich über hohe Roaming-Gebühren? Mit der kantonalen Flatrate stehen Ihnen die Angebote aller Kirchgemeinden im Kanton offen! Ob Heiraten im herzigen Kirchlein im Nachbarort oder individuelle Taufe durch ausgewählte Pfarrpersonen am anderen Ende des Kantons – die kantonale Flatrate öffnet Horizonte. Ihr Mitbestimmungsrecht können Sie bei Versammlungen der nicht-lokalen Kirchgemeinde Aargau in Anspruch nehmen.»
  • Genossenschaftler werden: «Sie sind gerade knapp bei Kasse, haben aber Zeit, für andere da zu sein? Als Genossenschaftlerin erhalten Sie bei einer dauerhaften wöchentlichen Zeitinvestition von mindestens 20 Stunden das lokale Pauschal-Abo gratis. Bei zeitlich begrenztem, projektgebundenem Einsatz erhalten Sie für die Dauer des Einsatzes das Monatsabo gratis.»
  • Jahres- oder Monatsabo: «Keine Lust auf dauerhafte Kirchenmitgliedschaft? Das Monatsabo bietet hier eine Alternative: Heiraten, die Kinder taufen, die Grossmutter beerdigen, Seelsorgeangebote in Anspruch nehmen, im Kirchenchor mitsingen – innerhalb des von Ihnen gewählten Monats erhalten Sie den vollen kirchlichen Service.»
  • Nachwuchs-Abo: «Mit diesem Abo ermöglichen Sie Ihren Kindern einen Start ins Glaubensleben. Enthalten sind Segnung oder Taufe, Teilnahme an den altersspezifischen religionspädagogischen Angeboten der Kirchgemeinde am Wohnort sowie die Konfirmation. Bei Nicht-Kündigung wird das Abo mit der Konfirmation automatisch in ein lokales Pauschal-Abo überführt.»
  • Kasualien only: «Wir stehen ganz nach Ihrem individuellem Bedarf für Kasualien zur Verfügung: Hochzeit (im Scheidungsfall auch mehrfach), Taufe (einmalig) oder Beerdigung (in der Regel einmalig) und fünf individuelle Segnungen sind im Angebot enthalten. Weitere Segnungen können kostenpflichtig dazugebucht werden. Dieses Abo ist personengebunden und nicht auf Dritte oder Familienmitglieder übertragbar.»
  • Kirche on Demand: «Kostengünstig und flexibel – je nach Bedarf – einzelne Angebote nutzen. Siehe beiliegende Preisliste.»
  • Gönnermitgliedschaft: «Der Beitrag der Kirchen an die Gesellschaft ist Ihnen ein Anliegen, auch wenn Sie selbst nie an kirchlichen Veranstaltungen und Kirchgemeindeversammlungen teilnehmen wollen? Mit einer Gönnermitgliedschaft können Sie die Reformierte Kirche regelmässig mit einem von Ihnen festgelegten Betrag unterstützen.»

Hinter all diesen Gedankenspielerein steckt eine ernstzunehmende Frage: Welche Mitgliedschaftsmodelle können und wollen wir zukünftig anbieten, um auch Menschen zu erreichen, die zwar aus der Kirche ausgetreten sind, aber je nach Lebenssituation punktuelle Beteiligung suchen? Marc Zöllner macht sich im folgenden Beitrag einige Gedanken dazu.

 

Verfasst von Marc Zöllner, Prozessleitungsteam Kirchenreform

Es ist nicht von der Hand zu weisen: Die klassische Mitgliedschaftsform ist in die Jahre gekommen. Nicht nur die Kirchen erleben das, auch Vereine, Parteien und NGOs haben Nachwuchssorgen. Der Mensch des 21. Jahrhunderts übernimmt nicht mehr automatisch die Zugehörigkeiten des Elternhauses, sondern hinterfragt kritisch: Was bringt mir eine Mitgliedschaft in der jeweiligen Organisation?

Moderne Dienstleistungsanbieter haben schon seit einiger Zeit mit vielfältigen Mitgliedschaftsmodellen darauf reagiert: Abgestuft je nach gewünschtem Leistungsumfang oder auch zeitlich befristet – in der Gestaltung von Zugehörigkeitsformen sind heute individuelle Wahlmöglichkeiten gefragt. Für die Kirche wirken derartige Überlegungen noch fremd. Sie versteht sich in der Regel nicht als Dienstleisterin – obwohl «Diakonie» eines ihrer Haupttätigkeitsfelder ist.

Das altbewährte Mitgliedschaftsmodell stösst immer mehr an Grenzen und geht dabei oft mit einem Gefühl von hoher Verbindlichkeit einher. «Vollmitgliedschaft» wird von Mitgliedern wie Nichtmitgliedern häufig mit einer unausgesprochenen erwarteten Teilnahme am Kirchgemeindeleben und im Gottesdienst verknüpft. Der Satz «Ich bin kein Kirchgänger» ist Ausdruck des schlechten Gewissens, wenn der Pfarrer oder die Pfarrerin zu Besuch kommt. Umgekehrt beklagen sich die aktiven Kirchgänger regelmässig über den schlechten Gottesdienstbesuch – warum ist man Mitglied, wenn man doch nie in die Kirche geht? Kirchliche Mitgliedschaft ist im Wesentlichen auf Gemeinschaft angelegt, doch längst nicht für jedes Mitglied ist Gemeinschaft ein Bedürfnis.

Nun liegt die Lösung zwar nicht in Premium-, Classic- und Light-Mitgliedschaften wie bei den Dienstleistungsanbietern. Doch in Zeiten, in denen die von vielen als zu verbindlich angesehene Mitgliedschaft unaufhaltsam zurückgeht, sind ergänzende Zugehörigkeitsmodelle in jedem Fall ein zentrales Thema im Hinblick auf die Kirchenreform.

Inhaltlich sollte die Mitgliedschaft weniger mit Pflichtgefühl und stattdessen mehr mit Mitbestimmungsmöglichkeiten verbunden sein. Die Arbeitsgruppe 4 der Kirchenreform, die sich mit dem Thema Zugehörigkeit und Mitgliedschaft auseinandergesetzt hat, hat dazu den Vorschlag eingebracht, dass Mitglieder niederschwellig mitbestimmen dürfen, wofür ihre Kirchensteuer verwendet wird. Dies ist zurzeit nur durch den Besuch von Kirchgemeindeversammlungen möglich, also auch hier wieder durch präsentische Teilnahme am Kirchgemeindeleben.

Bei allen Überlegungen ist entscheidend, ob es gelingt, die Perspektive derjenigen Mitglieder einzubeziehen, welche die Kirche bislang nicht aktiv mitgestalten. Diese Gruppe ist aktuell die deutliche Mehrheit der Kirchenmitglieder. Ein wichtiges Ziel ist auch, Mitglieder, die aus der Kirche austreten, nicht ganz zu verlieren bzw. abzuschreiben. Und denen, für die ein Kircheneintritt eine zu hohe Hürde darstellt, eine gangbare Alternative anzubieten.

 

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Eingestellt von Informationsdienst der Landeskirche

Der Informationsdienst der Landeskirche, Claudia Daniel-Siebenmann und Barbara Laurent, leiten und administrieren den Blog der Reformierten Landeskirche Aargau.

11 Kommentare

  1. Bevor wir uns über andere Modelle unterhalten können, sollten wir uns fragen, wie wir künftig die Einnahmen leiten wollen. Denn jede Änderung hat zur Folge dass wir künftig nicht mehr direkt über die Steuern und Gemeinden zu „unserem“ Geld kommen sondern direkt „Inkasso „ betreiben müssen. Das hat weitere enorme Konsequenzen in alle Richtungen. Wenn wir diesen Schritt gemeistert haben, dann stehen die Türen offen für alle möglichen Modelle. Aus meiner Sicht hat es viele Bedürfnisse hierzu, weniger ist jedoch auch hier mehr.

  2. Danke. Interessante Überlegung. Das haben wir doch schon: Jeder kann auswählen. Oder geht es um das Monetäre? Dann wird es gefährlich für den Fortbestand der Kirchgemeinden. Sie haben keine Plansicherheit mehr. Wird in der Kirche nicht auch Gemeinschaft, Solidarität? Eine Wahl- oder Wunsch-Midgliedschaft zielt in die andere Richtung.

    • Mir sind all die aufgelisteten flexiblen Mitgliedschaftsmodelle zu kompliziert.
      Ich würde mich auf eine Aktiv- und eine Passiv-Mitgliedschaft beschränken. Immer bezogen auf die Kirchgemeinde am Wohnort oder falls wir das bald haben auf Zentrumsgemeinden.

      Auch eine Mitgliedschaft direkt bei der Aargauer Landeskirche wäre für mich eine Option; der Wohnort wäre da nicht wichtig.

      Und noch etwas zur Nutzung von Angeboten anderer Kirchgemeinden:
      Diese ist heute schon möglich, problemlos und ohne Kostenfolgen.

  3. Die eigentliche Frage sitzt meines Erachtens noch viel Tiefer und wird im Text leider nicht beleuchtet: Was ist eigentlich Kirche? – Klar, wenn die Kirche ein Dienstleistungebetrieb ist, bitte sofort verschiedene, möglichst flexible Mitgliedschaftsmodelle Einführen. Doch wenn Kirche eben mehr ist als ein geistlicher Dienstleisungserbringer, dann scheint mir das doch eine schwierige Vorstellung zu sein.

    Eine weitere wichtige Frage die zu beantworten wäre, ist, wie es mit dem Priestertum aller Gläuigen aussieht. Die Kirche lebt davon, dass mündige Mitglieder:innen Kirche sind und das kirchliche Leben aktiv gestalten. Bei einer punktuellen Wunschmitgliedschaft würde die Kirche die Gläubigen entmündigen und misst den Ordinierten eine noch grössere und tragendere Rolle zu.

    Meine These/Vermutung in diesem Bereich ist, dass die Zukunft divers sein wird. Zum einen wird es individualisierte Angebote im Sinne einer Dienstleistung geben. Das Beispiel von S. Wälchli ist dafür ein gutes Modell. Diese Angebote müssen Überregional oder gar Landesweit zur Verfügung stehen und professionalisiert sein.
    Zum anderen wird es weiterhin lokale/regionale Kirchen geben mit einer – ich nenne sie an dieser Stelle mal Vollwertsmitgliedschaft. Kirchen die vor Ort verankert sind und nicht „nur“ Kirchliche Angebot anbieten, sondern Kirche sind – aufgebaut mit viel Freiwilligenarbeit und grosser Autonomie.

  4. Schon jetzt haben auch Nichtmitglieder Zugang zu kirchlichen Handlungen. Wenn nicht über die lokale Kirchgemeinde, dann doch via http://www.leben-feiern.ch
    Aber was ist das Ziel der Diversivizierung von Mitgliedschaft? Geht es darum Geld zu sammeln? Oder Infos weiterzugeben und im Kontakt zu bleiben? Gäbe es da nicht einfachere Wege als verschiedene Arten von Mitgliedschaft?

  5. Selten so gelacht 🙂 Danke Marc! Mir fehlt noch, frei nach Johannes 17, das Super-Breitband-Kombi-Angebot einer ökumenischen Mitgliedschaft, wo man gleichzeitig römisch-katholisch, christkatholisch, reformiert und allianz-freikirchlich sein kann. Das würde ich dann nehmen 🙂

  6. Das einzig Beständige ist der Wandel. Diese Wahrheit macht auch vor der Kirche nicht Halt. Bei allem Mut zur Erneuerung darf eines nicht vergessen gehen: Wo Kirche drauf steht, muss Kirche drin sein. Alles andere ist Etikettenschwindel. Die Kirche verkäme zu einem weltlichen Verein und damit zu einer leeren Hülle.

  7. Mit verschiedenen Mitgliedschaftsmodellen wird „die langsamste Demokratie von allen“ NOCH schwerfälliger. Die Bürokratie nimmt zu.

  8. geschenk-abo natürlich! bin sozusagen member durch geburt, genauer durch kindertaufe. damit komme ich nicht vom regen in die traufe, weil ich mir sagen darf: der teil, an dem du teilnimmst, ist zugleich die einteilung in das ganze.

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