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Gott braucht kein Opfer

Heller, lichtdurchfluteter, leerer Innenraum der ReformiertenKirche Kölliken

verfasst von Ernst Strebel

Die Legende von Gottvater und seinem Sohn

Gottvater sprach mit seinem Sohn immer wieder von der Erde, auf der seine Spuren, wie ihm schien, zunehmend verwischt wurden und verschwanden. Die beiden schauten auf sie hinunter und Gottvater erzählte, wie er sich den Menschen gedacht hatte, und sie überlegten, wie den Suchenden, die davon noch eine Ahnung hatten, geholfen werden konnte. Der Sohn, der gerne den Erzählungen aus der Zeit, als der Geist Gottes noch über den Wassern schwebte, lauschte, begann von seinen Visionen zu sprechen, zu erzählen, wie er verhindern wollte, dass die Raffgierigen die Erde wieder wüst und leer machten, und obwohl Gottvater grösste Bedenken hatte, wollte der Sohn sich inkarnieren und den Weg bahnen zu den gottväterlichen Visionen aus dem Anfang der Zeiten. Er liess sich gebären, wuchs auf und scharte Männer und Frauen um sich, die seine Suche teilten, über ihre inneren Stimmen sprachen und den Leuten von ihren Erfahrungen erzählten. Die Zahl derer, die sich ihnen anschloss, wurde immer grösser. Gottvater sah mit banger Sorge, wie sein Sohn in den TEMPEL eindrang und ihn von den Spuren derer zu reinigen versuchte, die ihn besetzten. Und es geschah, was Gottvater vorausgeschaut hatte: Die Raffgierigen liessen sich nicht gefallen, dass sein Sohn an ihren Grundfesten rüttelte und beschlossen seinen Tod. Da bat Gottvater in seiner grossen Angst den Sohn, in den Garten Gethsemane zu kommen. Dort versuchte er ihn davon zu überzeugen, diesen Kelch an sich vorbeigehen zu lassen, mehr Geduld zu haben und dem Tod zu entfliehen. Der Sohn aber wollte den Kelch bis zur Neige leer trinken, um die Menschen aus ihrer Erstarrung im Zusammengerafften zu erlösen. Er wehrte sich nicht, als er festgenommen wurde, und starb am Kreuz.

In den ersten Zeiten, nachdem der Tote zu Grabe getragen war, schaute Gottvater auf die Frauen und Männer hinunter, die mit ihm gelebt hatten. Ihr Bestreben, die Suche des Getöteten fortzusetzen, erinnerte ihn an seinen Sohn und milderte seine Trostlosigkeit. Manchmal schien ihm, in den Aufrufen der Gefährtinnen und Gefährten die Stimme des Sohnes, die im schrecklichen Todesschrei für immer verstummt war, zu hören.

Mit empörter Abscheu aber vernahm er von Menschen nachfolgender Generationen die Behauptung, sein Sohn habe sein Leben hingeben müssen, damit er, Gottvater, denen, die an ihn glaubten, die Sünden verzeihe. Als er sah, dass dieser abscheuliche Irrglauben immer mehr Verbreitung fand, riss ihm das Herz von oben bis unten entzwei. Er verhüllte sein Haupt und wandte sich ab von der Erde. Genug schwer trug er an der Last der Sünde, dass er seinen einzigen eingeborenen Sohn nicht am Leben hatte erhalten können, ihn durch seine Gespräche über all die wünschenswerten Veränderungen in den Tod getrieben hatte.

Blickte er manchmal aus grosser Ferne auf die Erde, sah er, wie im Verlaufe der Jahrhunderte zu Ehren seines Sohnes grosse Kirchen gebaut wurden. Ab und zu, wenn alle Menschen schliefen, enthüllte er sein Haupt und begab sich in einen dieser grossen leeren Räume und dachte dort an seinen Sohn, in grosser Verlassenheit und zehrender Sehnsucht nach seinem lebendigen Wort und seinem frohen Lachen. Und manchmal, wenn er in einer dieser leeren Kirchen sass, befiel ihn für ein Nu die Ahnung dessen, was er gewollt hatte, als er die Welt erschuf.

 

[Eine Variante dieser Legende erzählt, dass Gottvater seinem Sohn in zehrender Sehnsucht nachfolgte und sich auch inkarnierte. Seither wird er bis ans Ende aller Zeiten wieder und wieder geboren, stirbt noch und noch und erscheint dort, wo das gesucht wird, was in den Uranfängen möglich schien.]

verfasst von Ernst Strebel

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Eingestellt von Informationsdienst der Landeskirche

Der Informationsdienst der Landeskirche, Claudia Daniel-Siebenmann und Barbara Laurent, leiten und administrieren den Blog der Reformierten Landeskirche Aargau.

1 Kommentare

  1. „der tiefe fall der greta thunberg“ las ich ungefähr, als „great“, wie ich mich verschreibe und damit schreibe, dass mit ihr noch nicht alles vorbei ist, sich den palästina-aktivisten anschloss. weiter hiess es dann, sie sei erwachsen geworden, dh immer verärgert, aggressiv, voll zorn. ich weiss nicht mehr, mit welchen der attribute es umschrieben war, aber sinngemäss so. soweit auch wir erwachsen sind, sollte es uns nicht wundern, dass auch der vater, nach unserer tradition der ursprung von allem, auch des sohnes und seiner geschichte und des geistes, zuerst mal voll zorn ist. wir machen dann die erfahrung, dass eine wandlung mit uns geschehen kann. zb sind wir gegen jemand in zorn entbrannt, begegnen wir ihr*ihm aber, sind wir im „nu“ anders. das muss nicht unehrlich sein. es ist, wenn auch vielleicht nur ein bisschen, der tod während des lebens, der uns wandelt. unter sühne verstehe ich nun, dass der zorn des vaters durch den tod seines sohnes, durch den tod des vaters mit dem sohn, durch den sein zorn mit dem sohn stirbt, gewandelt wird. und das von ewigkeit her. ohne das wäre seine ursprüngliche kreativität gar nicht möglich (gewesen). „der zorn des vaters“ sagte ich mir während der pandemie. zusammen mit dem gedanken des endes des zorns eine starke, erlösende emotion. buddha starb während des lebens und erwachte. im elementarsten dasselbe. der tod, der seinen zorn erzeugt und anstaut, ist mit ihm gestorben. der zorn der einen kann für andere seelisch und körperlich traumatisch, tödlich sein. hätten alle das wort von der sühne verstanden, hätten wir frieden auf erden. unter den menschen und mit der ganzen schöpfung. alle haben buddhanatur. einer ist gestorben, darum sind alle gestorben. (2kor 5.14) und sie wandeln in einem von grund auf erneuerten leben.

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