
Von Markus Fricker
Keinen Bezug mehr zur Kirche
Kürzlich hat das Online-Nachrichtenportal Watson eine Recherche mit dem Titel „Warum jungen Menschen aus der Kirche austreten – und warum sie bleiben“ veröffentlicht. Es heisst darin: „Glauben junge Menschen überhaupt noch an Gott? Ein Blick auf die Kirchenaustrittsstatistiken zeichnet ein eher düsteres Bild für den Glauben: 2021 sind so viele Menschen aus der Kirche ausgetreten wie noch nie zuvor – die meisten Austritte betreffen Personen zwischen 25 und 34 Jahren.“
Es wurden Interviews mit verschiedenen Personen geführt. Ein Mann sagte: „Ich bin nicht bereit, in meinem Leben über 30’000 Franken dafür auszugeben, dass der Pfarrer an meiner Beerdigung ein paar schöne Worte und Amen sagt.“ Mehr als 30’000 Franken hätte der 27-Jährige nach eigenen Berechnungen im Laufe seines Lebens für die Kirchensteuer ausgegeben – das war es ihm nicht wert. Er gesteht im Interview mit Watson, dass er sich nicht tiefergreifend mit seinem Glauben auseinandergesetzt habe. Religion sei für ihn kein relevantes Thema, auch deshalb habe er sich letztendlich dazu entschieden, aus der Kirche auszutreten.
Das bringt es ziemlich klar auf den Punkt: Ein Grossteil gerade der jungen Leute bei uns hat keinen Bezug zur Kirche mehr. Es ist schlicht schleierhaft für sie, inwiefern Kirche für ihr Leben irgendeine Relevanz haben könnte, wozu es für sie gut sein könnte, in der Kirche zu sein – und dafür Geld zu bezahlen.
Dazu ein Zitat des Theologen und Religionssoziologen Detlef Pollak, den ich im letzten Dezember an einem kirchlichen Strategie-Kongress in Deutschland getroffen habe: „Das Bedürfnis nach Religion ist abhandengekommen. Man braucht die Kirchen nicht mehr, weil sämtliche Funktionen der Daseinsbewältigung, -vorsorge und -absicherung anderweitig und besser realisiert werden. Heilung und Befreiung finden andernorts statt, so dass der Kern der christlicher Botschaft, das Heilsversprechen in Jesus Christus, in unserer modernen Gesellschaft kaum noch damit verknüpft werden kann.“
Die Kirche, wie wir sie kennen, kommt an ihr Ende
Ich denke, dass wir uns noch viel klarer und entschiedener, als das bisher geschieht, der Realität eines grundlegenden Umbruchs stellen sollten: die Kirche, wie wir sie bisher kennen, kommt an ihr Ende! Dass man einfach, weil es so Brauch ist, zu einer der beiden grossen Kirchen gehört – das ist ja eigentlich schon länger nicht mehr ein gültiger Fakt. Aber mir scheint, dass es bei vielen, die in der Kirche tätig sind, irgendwie noch nicht ganz angekommen ist.
Ich habe selber die „alte Zeit“ noch erlebt, als ich Anfang der 80er-Jahre ins Pfarramt eingestiegen bin. Da waren in der Schweiz noch über 90% der Einwohner entweder katholisch oder reformiert. 45% waren Mitglieder der reformierten Kirche. Danach ist das Ganze schwer ins Rutschen geraten. 2021 waren noch 21% der Einwohner der Schweiz reformiert. Klar, das hat auch mit Zuwanderung von Menschen mit anderer Religionszugehörigkeit zu tun. Aber Fakt bleibt, dass die reformierte Kirche eine heftige Erosion erlebt hat, die weiter ungebrochen im Gang ist.
Man kann es ja auch positiv deuten, dass die Menschen, die weiterhin in der Kirche bleiben, dies nicht einfach nur tun, weil es halt so Brauch ist und gar nichts anderes in Frage kommt, sondern, dass sie sich bewusst dazu entschieden haben. Und das hat eine andere Qualität. Nur – es werden immer weniger!
Wie kann Kirche relevant sein?
Die grosse Herausforderung für unsere Kirche ist aus meiner Sicht, dass wir es schaffen, Menschen heute begreiflich zu machen – und sie es auch erfahren zu lassen -, weshalb die Kirche für sie und die Gesellschaft relevant ist, was sie an Wertvollem zu bieten hat. Und also letztlich – weshalb es sich lohnt, in der Kirche dabei zu sein.
Das bedeutet – nach meiner Meinung – dass wir Kirche grundlegend reformieren und weiterentwickeln müssen. Eine Reform, die einfach auf dem Bisherigen aufbaut und es verbessern will, bleibt – um es mit einem Fachbegriff zu sagen – in der Kybernetik erster Ordnung stecken. Die Massnahmen und Aktivitäten führen nicht zu einer echten Veränderung und so wird das System nicht befähigt, eine neue Situation zu bewältigen. Ich mache ein Beispiel aus einer ganz anderen Branche: die Technik der Videorekorder konnte von einer Firma, die solche produzierte, eine Zeitlang immer weiter verbessert werden, aber als die digitalen Medien aufkamen, nützte es nichts mehr, den Videorekorder zu verbessern. Man musst den Sprung zu einer neuen Technologie machen – oder man wurde abgehängt.
So ist es auch in der Kirche – es braucht einen Sprung zu einem neuen Verständnis, wie Kirche sich in der heutigen Zeit und Welt wertvoll einbringen und wie sie Menschen erreichen kann. Das geht nicht ohne disruptive Brüche, also ohne Dinge in Frage zu stellen und bisherige Gewissheiten und Handlungsweisen aufzugeben. Der Weg zu einer neuen Kirche braucht den Mut, in neue noch unbekannte Räume vorzustossen und bisher noch nicht Gedachtes zu denken.
Antwort auf die heutigen Fragen
Ich will das Ganze noch von einer anderen Seite her beleuchten: Viele der traditionellen existentiellen Fragen, mit denen die Kirche vertraut ist – und in denen sie die Menschen über Jahrhunderte begleitet und ihnen Antworten gegeben hat, finden heute bei den meisten Menschen keine Resonanz mehr.
Wenn wir weit zurück in die Zeit der Reformation gehen, sehen wir die Menschen von der Frage umgetrieben, wie sie vor Gott bestehen können – die „Frage nach dem gnädigen Gott“ hat die Menschen bewegt. Die Reformatoren gaben damals die wohltuende Botschaft, dass den Menschen Gottes Gnade „allein aus Glauben“ verheissen sei.
Beschäftigt heute Menschen die „Frage nach dem gnädigen Gott“ noch? Eher weniger – oder nur wenige, würde ich sagen. Und es kommt dazu, dass viele traditionelle kirchliche Botschaften für Menschen heute total fremd wirken: dass es den Opfertod von Jesus brauchte, um die Menschen von ihren Sünden zu befreien – ja, dass Gott seinen Sohn opferte, um die Menschen zu retten. Das wirkt für einen Grossteil gerade junger Menschen wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Aber auch andere theologische Botschaften, wie die Auferstehung von den Toten oder die Wiederkunft Christi sind heute nicht mehr wirklich anschlussfähig.
Dabei hat die christliche Tradition vieles, zu bieten, was unheimlich wertvoll ist für die persönliche Entwicklung der Menschen, aber auch für das Zusammenleben in der Gesellschaft. Ich nenne hier nur ein paar wenige Stichworte: Sich selber ganz annehmen zu können, sich als wertvoll erfahren. Der gute Umgang mit eigenen Schwächen und Fehlern. Heil werden. Der respektvolle Umgang mit anderen. Gegenseitig die jeweiligen Anliegen verstehen. Einander gelten lassen und mit unterschiedlichen Sichtweisen gut umgehen. Andern, die Hilfe und Unterstützung benötigen, zur Seite stehen. Die Schöpfung respektieren und bewahren.
Viele der christlichen Werte, die in den Geschichten der Bibel spürbar werden, haben Eingang gefunden in Bewegungen und Aktivitäten ausserhalb der Kirche: vieles im therapeutischen, sozialen und ökologischen Wirken ist geprägt von der Werten wie Mitmenschlichkeit und Respekt vor dem Leben, die in der biblischen Tradition gründen. Aber auch im demokratische Miteinander in unserer Gesellschaft findet das christliche Menschenbild seinen Ausdruck.
Theologische Inhalte übersetzen – anschlussfähig an die heutige Lebenswelt
Nun gilt es – nach meiner Meinung – selbstbewusst aber auch radikal das, was Kirche Wertvolles für Menschen und die Gesellschaft zu bieten hat, neu zu formulieren und mit den Lebenswelten der Menschen zu verknüpfen. Es geht darum, was in der faszinierenden Geschichte der Jesus-Bewegung so viel Kraft hatte, in eine neue Zeit zu übersetzen.
Nur ein Beispiel, was ich damit meine: mich treibt es sehr um, wie in unserer Gesellschaft der Umgang untereinander und mit Leuten, die anders denken, zunehmend aggressiv und abwertend wird. Das ist einerseits in den sozialen Medien, die häufig unsoziale Medien sind, so – aber auch in den Diskussionen und Auseinandersetzungen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen. Es wird immer mehr „auf den Mann, die Frau gespielt“ wie es im Fussball heisst, wenn Fouls begangen werden. Der Mensch, der ein bestimmtes Anliegen vertritt, wird persönlich angegriffen, beleidigt und fertig gemacht. Wie wäre es, wenn die Kirche sich hier gezielt und voller Energie für einen wohltuenden Umgang miteinander einsetzen würde. Nicht als Mahnerin mit dem Zeigefinger, sondern indem gezeigt und gelebt wird, wie ein anderer Umgang für alle Seiten wohltuend ist und es möglich macht, gemeinsam gute und neue Lösungen zu entwickeln.
Ich will in diesem Zusammenhang auf ein interessantes und auch herausforderndes Buch von Alain de Botton hinweisen: „Religion für Atheisten: Vom Nutzen der Religion für das Leben“. Er zeigt darin auf, dass die Religion – gerade auch die christliche – einen Reichtum an Dingen zu bieten hat, die uns helfen, das Leben einfacher und sinnvoller zu gestalten: eine Ethik, damit Gemeinschaften friedlich miteinander leben; sie erfand Malerei, Architektur und Musik, die uns zum Staunen bringen; sie tröstet uns bei Tod, Schmerz und Leiden. Alain de Botton findet: Wir können viel von den Religionen lernen, um unser säkulares Leben reicher zu machen.
Ich möchte es nochmals sagen: wir können selbstbewusst darauf aufbauen, dass die Kirche sehr viel Wertvolles zu bieten hat. Und – wir müssen grundsätzlich neue Wege gehen, um das den Menschen nahe zu bringen.
Klar, es ist heikel – Neues wagen, Dinge in Frage zu stellen. Es ist nicht einfach, Vertrautes loszulassen und damit vielleicht auch treue Kirchenmitglieder, die das als Verlust sehen, weh zu tun.
Die grosse Herausforderung wird sein, die unterschiedlichen Meinungen, wofür die Kirche da ist – und wie es mit ihr weitergehen soll – auf eine sinnvolle Art miteinander ins Gespräch zu bringen – und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Dazu gehört, dass gewürdigt wird, was den Menschen, die mit der Kirche auf eine traditionelle Art verbunden sind, am Herzen liegt. Umgekehrt sollte genauso anerkannt und gewürdigt werden, dass diejenigen, welche Kirche neu denken und ausgestalten wollen, sich dafür einsetzen, dass die Kirche auf neue und zeitgemässe Art für Menschen relevant sein kann.
Es geht schliesslich darum, dass die Kirche eine Zukunft hat. Und allzu viel Zeit haben wir nicht mehr, finde ich.
Verfasst von Markus Fricker.
Mit Spannung las ich diesen Text. Die provokative Frage des Titels machte mich neugierig auf den Inhalt. Die geballte Sprachgewalt des Autors und der clevere Aufbau mit der Problemanalyse zu Beginn und dem anschliessenden Lösungsversuch wirkten zuerst überzeugend. Und doch liess mich der Text ratlos, ja mit grosser Enttäuschung zurück, mit der Enttäuschung darüber, dass er das integral Innovative und Disruptive, das er verspricht, nicht zu bieten vermag.
Was mich noch vollends überzeugt hat, ist die Problemanalyse von Detlef Pollack. Sie besteht darin, dass eine Vermittlungstheologie im Stil des 19. und 20. Jh., welche notwendige und deswegen relevante Funktionen in der Konstitution des menschlichen Subjekts oder der Gesellschaft sucht, an diese anknüpft und ihre traditionellen Inhalte so umformt, dass diese Funktionen erfüllt werden, in der heutigen Zeit unmöglich geworden ist. Denn in der heutigen emanzipierten, pluralistischen und individualistischen Gesellschaft werden bereits alle notwendigen und relevanten Funktionen erfüllt und dann auch noch in besserer, verständlicherer und finanziell günstigerer Weise, als dies Religion zu erbringen vermag. Mit dieser Analyse bin ich einverstanden, selbst wenn ich genauer nach dem hier verwendeten Religions- und Kirchenbegriff und der theologischen Adäquatheit fragen würde.
So einverstanden ich mit der Problemanalyse bin, so verdutzt bin ich über die vermeintlich neue und disruptive Lösung des Autors. Er schlägt nämlich vor, dass die Kirche in die aktuelle Gesellschaft schauen, existentiell relevante Funktionen suchen, an diese anknüpfen und ihre überkommenen Inhalte an diese anpassen soll. Auf der methodischen Ebene schlägt der Autor also genau dasjenige Rezept vor, dass seiner Problemanalyse gemäss unmöglich geworden ist. Was er vorschlägt, ist auf der methodischen Ebene überhaupt nicht neu, geschweige denn disruptiv, sondern es steht in ungebrochener Kontinuität zum alten Rezept. Neu sind nicht einmal die Anknüpfungspunkte, die der Autor vorschlägt. Diese findet man bereits in der Literatur der existentialistischen Theologie, einer Spielart der Vermittlungstheologie. Neu ist maximal der Bezug zu den sozialen Medien, welche es erst seit wenigen Jahrzehnten gibt, doch die Frage nach dem richtigen Diskursverhalten ist so alt wie die Menschheit selbst.
Die Suche nach neuen Anknüpfungspunkten, wie sie der Autor vorschlägt, ist durch seine Problemanalyse ausgeschlossen. Denn in der modernen Gesellschaft werden eben alle, d.h. auch allfällige neu entdeckte Anknüpfungspunkte, bereits anderweitig in besserer, verständlicherer und günstigerer Weise bedient, als dies die Kirche zu bieten vermag.
Der Text endet meines Erachtens in einem Selbstwiderspruch, indem er eine Lösung präsentiert, die das Problem nicht bewältigt, sondern selbst das Problem darstellt und fortsetzt.
Aus der Problemanalyse nehme ich heraus, dass der Weg gerade der sein sollte, den der Autor nicht zu gehen wagt. Die Kirche soll nicht nach Relevanz trachten, indem sie nach Anknüpfungspunkten in der Welt sucht, sondern ihre eigene Botschaft der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist verkündigen. Sie soll die sperrige und sich nur selbst vermittelnde, allen Gedanken und Erfahrungen widersprechende und gerade darum stets neue und disruptive Botschaft der leiblichen Auferstehung des gekreuzigten Gottes- und Menschensohnes Jesus Christus ins Zentrum setzen. So wird sie, was sie ihrem Wesen und Selbstanspruch gemäss schon immer war, nämlich die Gemeinschaft der Menschen, die den Gott Jesu Christi als ihren Schöpfer, Versöhner und Erlöser bekennen, die Gemeinschaft der Glaubenden. Sie muss damit leben, dass es Menschen gibt, die ihren Glauben nicht teilen, die deshalb kein Teil von ihr sein wollen. Das ist aber nicht ihr Versagen, sondern es ist ein Zeugnis für die Neuheit ihrer Botschaft und somit eher ein Kennzeichen ihrer eigenen Wesenstreue.
Dass der Autor diesen Weg nicht zu gehen wagt, hängt vermutlich mit einer in diesem Text implizierten Prämisse zusammen, nämlich der derjenigen, dass sich wahres Kirchesein quantitativ äussert. D.h. Kirche soll Volkskirche sein, der eine grosse Menge („45%“) oder sogar die Mehrheit der Menschen angehört. Dieses Konzept stammt aus dem 4. Jh. und ist in der heutigen pluralistischen Gesellschaft nicht mehr möglich, wird aber in vielen kirchlichen Reformplänen nach wie vor zum Ideal erhoben. Eine wahre Neuerung, eine wahre Disruption wäre wohl der Abschied von diesem Konzept, einem Konzept, das theologisch betrachtet nicht zu den notwendigen Wesensmerkmalen von Kirche gehört. Notwendig ist aber die Verkündigung Jesu Christi, der Selbstoffenbarung Gottes.
leibliche auferstehung als soma pneumatikon (1kor 15.44) und darum nicht disruptiv. die institutionen werden nicht so bald verschwinden. aber in diesen institutionen und gemeinschaften ihnen angehörende, die von verschiedenen religionen und nicht-religionen bestimmt sind. zu Ihren forschungsschwerpunkten gehören karl barth und die eschatologie. barth hat im weisen alter gesagt, er müsste „vielleicht“ seine kirchliche dogmatik nochmal neu schreiben: mehr im dialog mit andern religionen. paulus charakterisiert das eschaton (die zukünftige vollkommenheit) mit drei aus der stoa übernommenen worten als „alles in allem“. warum sich ungeteilt mit einem teil identifizieren? (13.9-12, 15.28)
Für wen genau ist die Frage nach «Relevanz der Kirche» relevant?
Wer/was ist eigentlich «Kirche», in eben dieser ihrer Frage nach Relevanz?
Pollack finde ich spannend. Zur «Daseinsbewältigung» brauche es Kirche nicht, lese ich. Wozu dann aber, frage ich, als «Kirche» ein weiterer «Anbieter» von «Wertvollem», von «Lebenshilfen» sein/werden?
Pollack weiter: «Heilung und Befreiung finden andernorts statt.» Was da, «andernorts», unter «Heilung und Befreiung» läuft, bleibt offen. Wenn aber, «andernorts Heilung und Befreiung» gesucht werden, treibt Menschen doch weiterhin um, was dereinst z.B. die Frage nach einem gnädigen Gott generierte?
Sie, Herr Fricker, erwähnen «die unterschiedlichen Meinungen, wofür die Kirche da ist». Damit gelange ich wieder zu meinen Eingangsfragen und mit ihnen zur grundlegenden Frage nach einer Definition von «Kirche», also nach der Frage des «Wesens», der «Bestimmung», und damit durchaus auch nach «Abgrenzung». Gibt es da einen Konsens, und wenn ja, wie lautet dieser? Denn – worüber reden (und schreiben) wir hier – eigentlich?
Lieber Markus. Wow! Ein Wahnsinnstext! Ein Paukenschlag.
Lass es mich in zwei Sätzen sagen: Wir müssen vielleicht als Kirche sterben, um in neuem Grün und verschiedensten Formen zu wachsen. Im Vertrauen auf die Auferstehung dürfen wir gelassen bleiben, wenn unsere Ängste sich melden.
Wie wird Kirche ausserhalb von dem, was wir heute als Kirche bezeichnen?
Ein echter Aufbruch.
den abschnitt „antwort auf die heutigen fragen“ verstehe ich so, dass früher gott noch etwas gemacht hat, dass wir aber heute alles selber machen. das wort „gott“ empfinde ich oft als zu hart, und dass es eine besondere gnade sein soll, dass wir geschaffen werden und dann einigermassen menschenwürdige lebensbedingungen vorfinden, entspricht nicht meiner logik. und doch entspricht mir dieses machen, dieses nur zwischenmenschliche nicht. was mir auch nicht einleuchtet: dass in der antwort der tod dann plötzlich weg ist. aber er ist doch da. von 400 000 toten soldaten habe ich heute gelesen. wir haben die atombombe erfunden und auch gebaut. die konsequenz ist, dass die, welche sie möglicherweise anwenden werden, macht über uns haben, irgendwie über uns regieren. in der theologischen, metaphorischen sprache: der zorn des vaters. altertümlich? auf mich hat es einen therapeutischen effekt. die strafe: erdet mich. und dann die frage, ob es da nicht doch eine alternative gäbe. resilienz: durch seine verbindung mit dem erboden springt der ball wieder auf. gnade: nicht mein wort. spricht aber doch von einer alternative. von etwas, das die nötige grazie in sich enthält, die zum weiterwandern motiviert. vielleicht sogar freiheit als sich unterwerfen können und die nicht nuklear vernichtete welt geniessen. und dass wir die verstorbenen wiedersehen werden, vollkommen erleuchtet, bringt mit etwas. und dann wird gesagt, der zorn des vaters habe seinen sohn getroffen. an unserer stelle. er ist gestorben und wir mit ihm. sühne als die alternative todesstrafe. was auch heisst: die, die in unseren augen gottlose sind, nicht töten, sondern ihnen die gelegenheit geben, zu sterben und in einem von grund auf erneuerten leben zu wandeln. hätten das alle verstanden, hätten wir frieden auf erden. warum offenbart es sich nicht allen und das vollkommen? unvollkommen nennt paulus ein erkennen, wie ich es eben dargetan habe. wenn das vollkommene kommt, wird es abgetan. und doch ist es relevant. zb zeigt es, dass wir nicht alles selber machen müssen. alles aus allem. auch aus uns. aber nicht nur. grundlegender aus allem. soweit wir gestorben sind, tun wir überhaupt nichts. das leben ereignet sich selbst. und sei es als dissoziationserfahrung in der katastrophe als assoziation mit der grossen erleuchtung. (1kor 13.9-12, 15.28, rm 8.18)