Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) führt seit 1972 alle zehn Jahre eine grosse Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) durch. An der Synode der EKD am 14. November wurden die Ergebnisse der sechsten Untersuchung präsentiert. Der 100-seitige Bericht und die graphisch sehr übersichtlich aufbereiteten Resultate sind online verfügbar. Die Resultate zeigen, dass die Kirchen (in Deutschland) an einem Kipppunkt stehen und sich momentan historische Transformationen vollziehen. Die Studie Religionstrends in der Schweiz (Datenerhebung 2018, Publikation 2022) zeigt, dass die Entwicklungen in der Schweiz in eine ähnliche Richtung gehen.
Angesichts dieser drastischen Resultate stellen wir die Fragen des Monats im Dezember zum Thema Mitgliedschaft und Religiosität:
- Wenn im Small Talk das Thema Religion oder Glauben angesprochen wird: freuen Sie sich oder ist Ihnen das unangenehm? Warum?
- Durch was wird für ihr Umfeld sichtbar, welcher Religion/Konfession sie angehören?
- Wissen Ihre Nachbarn, dass Sie reformiert sind? Wissen Sie, welche Religion/Konfession ihre Nachbarn haben?
- Glauben Sie an Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist? An was können Sie nicht (mehr) glauben? Was ist in Ihrem Glauben zentral?
- Auf einer Skala von 1 (säkular) bis 10 (kirchennah-religiös): wo würden Sie sich einordnen?
Diskutieren Sie mit! Persönliche Geschichten können auf Wunsch auch anonym – nur mit Initialen unterschrieben – veröffentlicht werden.
1) Unangenehm ist es mir nur, wenn das Gegenüber nur mit gelernten Bibelzitaten um sich wirft, anstatt eigene Gedanken zu vertreten. Äusserst interessante Gespräche habe ich mit offenen, wissenschaftlich Orientierten und sogar mit überzeugten Atheisten geführt.
2) Direkt sichtbar wird das nicht; in Gesprächen schon.
3) Einige ja, einige nein. Ist meistens nicht offensichtlich.
4) Ich bin überzeugt, dass das Universum erschaffen worden ist. Somit gibt es einen Schöpfer, den wir auch Gott nennen. Kein Gottesbeweis, aber äusserst starke Indizien sind die Feinabstimmung der Naturgesetze und Naturkonstanten, die bereits im Zeitpunkt des Urknalls wirkten („Im Anfang war das Wort!“). Sie haben vor 14 Milliarden Jahren eine Entwicklung in Gang gesetzt, an deren Ende wir heute stehen, und die das Leben in seinem ganzen Reichtum und seiner Vielfalt erst möglich gemacht hat. Kleinste Abweichungen bei diesen Gesetzen und Konstanten hätten bewirkt, dass sich keine Sterne und Planeten und somit kein Leben gebildet hätten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Feinabstimmung rein zufällig ergeben hat ist verschwindend gering.
Gott ist unfassbar, ein grosses Geheimnis. Sicher keine Person und schon gar nicht das Ebenbild des Menschen. Alle Religionen sind mehr oder weniger hilflose Versuche, Gott (oder Götter) mit unserer sehr beschränkten Vorstellungskraft zu erklären. Alle Religionen sind von Menschen gemacht und somit fehlerhaft, widersprüchlich, unvollständig. Das ist nicht im Vornherein schlecht, aber es geht nicht anders. So betrachtet kommt man zu einem grossen Verständnis und zu grosser Toleranz für viele Religionen. Die Toleranz hört für mich da auf, wo die Religion von der herrschenden Klasse als Machtmissbrauch und zur Unterdrückung eingesetzt wird. Das Christentum ist die „religiöse Heimat“, in die ich hineingeboren wurde. Sie ist eine Sammlung von Metaphern, Geschichten und Gleichnissen von meist hohem ethischen Wert. Zur Erklärung der Welt taugen sie eher weniger. Durch diese Sichtweise habe ich Frieden geschlossen zwischen Wissenschaft und Religion. Mein Lieblingszitat dazu stammt vom Physiker Werner Heisenberg: „Der erste Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott!“
5) Ich ordne mich etwa mit 3 (von 10) ein.
„gott ist unfassbar“ – aber eben haben Sie ihn doch erfasst als schöpfer des universums und der feinabstimmung der naturgesetze und naturkonstanten. „sicher keine person“ – aber ein schöpfer ist doch eine person. person erscheint dann als metapher, als etwas, was auf etwas anderes übertragen wird. aber warum ist dieses andere, mehr als person, nicht personähnlich, der ursprung des universums nicht einer menschlichen person vergleichbar, die etwas schafft? „alle religionen sind von menschen gemacht“ – ja, aber könnte es nicht sein, dass das der anthropologische gesichtspunkt ist, dass der genannte ursprung sich den menschen offenbart und das der tiefere grund von religion ist, die religionen also nicht nur von „hohem ethischem“, sondern auch von hohem dogmatischen „wert“ sind, dh im verstehen und verständlich machen des urprungs und von daher dann auch des entsprungenen. und warum setzen Sie voraus, dass, was ist, nicht sich selbst ursprung ist? könnte doch auch zureichender grund für die feinabstimmung sein. der einer menschlichen person ähnliche zufall zb.
Ich habe Gott als „Schöpfer der Naturgesetze“ bezeichnet. Für Sie habe ich ihn anscheinend dadurch „fassbar“ gemacht. Die Begriffe „fassbar“ oder „unfassbar“ sind vielleicht etwas zu wenig präzis. Vielleicht wäre „verstehbar“ besser passend. Für mich wird etwas nicht dadurch fassbar, dass ich es bezeichnen kann. Für mich ist beispielsweise Quantenphysik nicht fassbar, obwohl ich sie bezeichnen kann.
Ja, wenn Sie „Person“ als Metapher verstehen, dann geht das schon. Ich habe es wörtlich gemeint. Wir können Vergleiche halt nur anstellen mit etwas, das wir kennen. Dazu taugen Metaphern gut.
Ja, das ist ein schöner Gedanke, dass „der Ursprung sich den Menschen offenbart hat“. Das könnte für die „Feinabstimmung“ passen. Diese Erkenntnisse sind aber ziemlich neu und die Ursprünge der Religionen sehr sehr alt.
Etwas, das ist, und das sich selbst der Ursprung ist?
Das sind doch Eigenschaften, die nur auf einen Gott zutreffen können, oder?
Das ist doch kein Widerspruch zur Idee, dass die Naturgesetze von Gott stammen.
Oder anders formuliert: Wenn die Naturgesetze den Ursprung in sich selbst haben, sind das göttliche Eigenschaften.
danke für Ihre antwort. es freut mich, dass wir hinsichtlich der metapher übereinstimmen. theologie ist metaphorische sprache. kirchenreform ist in meinen augen ganz wesentlich auch theologische diskussion, in der solche fragen und inhalte einer klärung entgegen gehen können. sogar wenn wir sagen „alles in allem“, ist das „in“ noch etwas aus raum und zeit, das auf ein noch anderes als raum und zeit übertragen wird. dass ein einzelnes wie die naturgesetze sich selbst ursprung ist, habe ich nicht erwogen; aber dass das gesamte dies sein könnte, müsste im dialog astrophysik/theologie erwogen werden. meine meinung ist, dass paulus in einem relativ späten, aber lichten moment darauf gekommen ist, dass, was er bisher vertreten hat, unvollkommen ist, dass er damit teile der ganzen wahrheit zum ausdruck gebracht hat. alles in allem heisst dann auch alles aus allem. (1kor 13.9-12, 15.28, dazu auch 1joh 3.2)
1. Ja ich freue mich, den Gespräche über religiöse Fragen sind für mich spannend.
2. Ja ich denke schon. Ich gehe regelmässig am Sonntag in die Kirche. Aber ich hoffe eigentlich mehr, dass meine vielen freiwilligen Einsätze im sozialen Bereich ein wenig ausstrahlen…
3. Ja, bei denen die ich näher kenne schon.
4. Formeln sind manchmal schön zum Nachsprechen. Aber für mich hat Gott noch viele andere Gesichter, vor allem auch in meinen Mitmenschen, aber auch das Nichts eines Johannes vom Kreuz oder vieler Mystiker auch anderer Religionen. Und wenn ich mit meinen muslimischen Mitbewohnern über Gott und Glauben diskutiere, kommt immer wieder klar heraus: Wichtiger als Glaubenssätze und religiöse Praktiken ist, dass wir unseren Mitmenschen liebevoll und rücksichtsvoll begegnen.
5. 9
„bist du gläubig?“ fragte mich mal eine bekannte. die frage, war mir schon etwas unangenehm, weil an nicht wenigen stellen im neuen testament die ungläubigen dann gleich ins verderben gehen, ich das nicht und es auch andern nicht unterstellen will. zuletzt sagte ich: „alles aus allem.“ wie sie lachte, da würde ich ausnahmsweise von glücklichsein reden, und das war mir schon angenehm. es scheint also nicht unmittelbar sichtbar zu sein, welcher religion oder konfession ich angehöre. meistens weiss ich das auch von meinen nachbarn nicht. ja, ich glaube an gott den vater, mit dem sich das grundlegende und umfassende ankündigt, den sohn, mit dem wir vollends in die welt und bis in die unterwelt kommen, woher es dann nach oben geht, von wo der geist herankommt (schöner verschreiber, er kommt ja nicht nur harab), der uns ermöglicht, das alles zu verstehen, und uns in die vollkommene wahrheit führt: die vereinigung von vater, sohn und geist wird zur vereinigung von allem, die durch den tod des todes, die überwindung jeder trennung, zu stande kommt. weder bin ich „religiös“ noch „spirituell“. ich glaube nicht, dass diese worte sich eignen, um menschen zu kennzeichnen, denen das zentrale zentral und das elementare grundlegend ist. lao-tse sagt, man könne die wahrheit immer nur paradox zum ausruck bringen. nach dieser unskalierbaren differentialrechnung bin ich also kirchennah, weil ich kirchenfern bin. in eine religion und eine konfession bin ich hineingeboren, aber von verschiedenen religionen und nicht-religionen beeinflusst. am ersten identifizieren kann ich mich mit der evangelisch-reformierten kirche wegen der freiheit, die sie uns gewährt. unter evangelium verstehe ich eine siegesbotschaft. das christentum ist e i n e version der botschaft vom sieg über den tod, die, wenn auch unter anderem namen, auch anderswo vorkommt, und in keiner version vollkommen ist, erst in der gegenseitigen durchdringung ihrer versionen. (1kor 13.9-12, 15.26-28)
1. Ueber den Glauben sprechen? Ja sicher! Doch mit wem und wo wenn nicht im Kirchenkaffee und dennoch nicht über die Farbe der Vorhänge, die Krawatte des Pfarrers, die Glocken, vergangene Geschichten aus vergangenen Zeiten,…? Zuuu privat scheint das Glaubensleben zu sein. Oder liegt es vielleicht an meiner „Nase“?
2. Mit regelmässigem Gottesdienstbesuch sonntagmorgens sowie feiertags, vielleicht? (als Abgrenzung einerseits zur Welt, andererseits zum Judentum, Islam,…)
3. Die Nachbarn eher – ja, ich nur von wenigen.
4. Ja, aber in anderer Reihenfolge: 1. der Mensch gewordene Gott und Sohn Jesus Christus, dann Gott Vater und Heiliger Geist. Zentral während des Erdenlebens ist das Wort Gottes.
5. Eine sich widersprechende Frage kann nicht beantwortet werden! Ja, ich bin kirchennah = 10, doch ich bin nicht religiös: „Handlung oder Verhalten, das einen Glauben an eine göttliche Macht und Ehrfurcht vor ihr sowie den Wunsch, ihr zu gefallen, zeigt.“ So praktiziert in den Religionen rund um den Globus, mit (sich selbst) auferlegten Regeln, Ritualen bemühend, eifernd, von den Naturvölkern bis „hinauf“ in die Teppichetagen. Ausgenommen davon ist der biblisch fundierte christliche Glauben: Die Menschen können von sich aus dem Herrn und Gott nicht mehr gefallen, weil sie vor dem Herrn und Gott gefallene Wesen sind. Deshalb hat Er sich von seiner Schöpfung „entäussert“, „abgesondert“. Das ist auch die Ueberesetzung vom hebräischen Urtext, die uns als „heilig“ bekannt ist. Wie sollen wir dann dem Herrn und Gott noch gefallen können? Es ist genau umgekehrt (und kann somit nicht von Menschen erfunden worden sein): Der Herr und Gott Jesus Christus entäussert sich selbst und demütigt sich freiwillig hinab bis auf die Ebene der gefallenen Menschen. Nicht etwa, um diesen ein Gott wohlgefälliges Leben vorzuleben, sondern um für die Sünden der gefallenen Menschen das unabdingbare Opfer am Kreuz auf Golgatha qualvoll zu erringen. Mit Seiner darauf folgenden Auferstehung hat er den Tod, den Teufel und die Dämonen sowie die dannzumaligen, aktuellen sowie zukünftigen Religionen besiegt! Dennoch: Johannes 3,16
von sich aus kann ein mensch gott nicht gefallen, aber von gott her schon. der verheiratete will seiner frau gefallen, sagt paulus 1kor 7.33f, und der unverheitratete will dem herrn gefallen. die frage, warum sollte der verheiratete – durch die art, wie er seiner frau gefallen will zb – nicht auch dem herrn gefallen wollen? umgekehrt formuliert auch alles für die frau. aber es ist doch immerhin ein gleichnis: so wie wir menschen gefallen wollen, kann es sein, dass wir gott gefallen wollen. und so, wie das eine möglich ist, ist auch zweite möglich. es besteht eine ähnlichkeit zwischen der beziehung zu einem menschen und der beziehung zu gott. paulus spricht ja nicht ins leere, wenn er rm 12.2 sagt: „fügt euch nicht ins schema dieser welt, sondern verwandelt euch durch die erneuerung eures sinnes, dass ihr zu prüfen vermögt, was der wille gottes ist: das gute und wohlgefällige und vollkommene.“ der satz ist zwar nicht ganz leicht zu übersetzen, sagt aber doch wohl: macht – vorausgesetzt es ist nicht beides in einem – nicht, was der welt, sondern was gott gefällt. auch wenn ich finde, dass Sie immer wieder etwas sehr eine drohkulisse auffahren, kann ich, mit dem, was Sie schreiben, doch etwas anfangen und zum teil zustimmen. von der offenbarungstheologie herkommend befinde ich mich auf einem mittelweg zwischen evanglikal und liberal. mit evanglikalen verstehe ich mich oft nicht schlecht (weil ich mitunter etwas bibelfester bin).
wie das eine möglich ist, ist auch das andere möglich, wollte ich sagen.
1. Ja, wenn es Menschen einander und dem Geheimnis des Lebens näher bringt – nein, wenn Kirche und Religion mit Allgemeinplätzen und Vorurteilen unreflektiert kritisiert werden.
2. Durch meinen Beruf als Pfarrer und Seelsorger.
Es ist mir im Allgemeinen nicht wichtig, zu welcher Religion oder Konfession ein Mensch gehört. Der Mensch selber steht für mich im Mittelpunkt.
3. Glauben Sie an Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist? Ja und nein. Ja, als „transzendente“ Personen der biblischen Offenbarung, wie ich sie im Hinblick auf Jesus Christus verstehe, und als Adressat all meiner Gebete, Hoffnungen und Sehnsüchte. Nein, wenn es um Dogmatismus geht.
4. Das doppelte Liebesgebot, der Gott der Bibel und das Gute im Menschen.
5. 9
Es gibt für mich nichts Spannenderes, als mit anderen Menschen über Religion und Fragen und persönliche Erlebnisse im Zusammenhang mit Religion oder Spiritualität zu sprechen.
1. Ich freue mich. Meistens ergibt das lange, spannende Gespräche.
2. Durch nichts. Vielleicht am ehesten durch die Stofftasche zur Konzernverantwortungsinitiative, die ich oft rumtrage.
3. Ja. Bei den meisten Nachbarn wissen wir das voneinander. An Quartierfesten ist auch Kirche und Religion neben ethischen Fragen regelmässig Thema.
4. Nein. Für mich sind das Metaphern wie alle Worte, die wir über Gott machen. Ich glaube an Gott. Immer wieder wortlos. Gott ist Frage, nicht Antwort. Du? Wenn ich echt glaube, komme ich ins Handeln und in Gemeinschaften mit anderen.
5. 1 und 10.
„alles vergängliche ist nur ein gleichnis“, sagt goethe. „warum ’nur‘?“ fragt eberhard jüngel und legt dar, dass wir in metaphorischer, übertragender sprache von gott reden können. aufgrund von offenbarung besteht, sagt er in umkehrung des textes des laterankonzils von 1215, inmitten noch so grosser unähnlichkeit eine immer noch grössere ähnlichkeit zwischen dem formulierten und dem intendierten. wenn nur frage und nicht wort und antwort, ist die letztbegründung des grundlgenden gebotes der nächsten- und feindesliebe in frage gestellt.