Verfasst von Martin Kuse, Pfarrer der Kirchgemeinde Holderbank-Möriken-Wildegg
Liebe Yemisi Ogunleye
Ich habe das Interview gesehen, das Sie nach Ihrem Olympiasieg im Kugelstossen der ARD gegeben haben. Sie haben auf eine unglaublich warme, fröhliche und unverstellte Art von Ihrem Glauben an Jesus erzählt («Hört sich vielleicht verrückt an für Menschen da draussen, eine junge Frau die an Jesus glaubt – ich glaube an Jesus und dieser Moment hat gezeigt, dass Glaube wirklich Berge versetzen kann»). Sie haben allen gedankt, die Sie unterstützt und getragen haben, Ihrer Familie, Ihrem Trainerteam, Ihrer Kirchengemeinde («Die heute so für mich gebetet hat und gehofft hat, dass auch wirklich eintritt, was ich auf meinem Herzen hatte und was ich mir gewünscht habe»).
Zum Schluss des Interviews haben Sie ein Lied in die Kamera gesungen, das hat mich umgehauen. Nicht das vom Reporter vorgeschlagene «O Happy Day», sondern ganz spontan «This little light of mine, I’m gonna let it shine». Und wie Sie gesungen haben! Wow.
Und Sie haben damit in dem Moment genau das getan: Sie haben Ihr Licht scheinen lassen auf eine wirklich glaubhafte, strahlende, ansteckende Art. Es war eine echte, sympathische Stimme für den Glauben. Eine gut geerdete, frohe und bescheidene Siegerin, die von ihrer Sternstunde nicht geblendet wird. Ich möchte Ihnen von Herzen dafür danken, es war ein wundervoller Moment, und man hat gespürt, dass nichts von dem, was Sie gesagt haben, einstudiert war, sondern alles einfach aus tiefstem Herzen kam. Das hat mich und ganz bestimmt viele andere Menschen berührt, und ich gönne Ihnen dieses riesige Glück von Herzen.
Dennoch geht mir dieses Interview nach, und ich merke, dass ich hier auf eine grundsätzliche Glaubensfrage gestossen bin.
Der jüdische Theologe Martin Buber hat einmal formuliert: «Erfolg ist keiner der Namen Gottes.» An diesem Satz bin ich hängengeblieben wie an kaum einem anderen.
Sie haben Olympiagold gewonnen, und das ist wirklich eine Riesengeschichte. Ich rechne es Ihnen hoch an, dass Sie diesen Erfolg ausdrücklich nicht als Ihren Verdienst einordnen, sondern all den Menschen gedankt haben, die Sie auf dem Weg dorthin «an der Hand genommen» haben und Sie gelehrt haben, an das vermeintlich Unerreichbare zu glauben. Dass Glaube wirklich Berge versetzen kann, haben Sie gesagt.
Ich erinnere mich, dass ich als Junge an einem Fussballturnier auch gebetet habe. Und als mir damals tatsächlich zweimal ein entscheidendes Tor gelang, fühlte ich mich auch: schon fast im Himmel. Es war für mich klar, dass Gott mich erhört hatte. Dass ich für meinen aufrichtigen Glauben belohnt worden war. Dieses Erlebnis hat meinen Glauben damals gefestigt und vertieft.
Meinen Glauben habe ich noch, aber er hat sich seit da stark verändert. Ich schaue heute auf dieses Ereignis zurück und mir wird klar:
Die grosse Freude und Dankbarkeit waren richtig. Dass es mir geschenkt wurde, im entscheidenden Moment den Unterschied ausmachen zu können. Dass es mir geschenkt wurde, überhaupt Fussball spielen und dabei auch noch glänzen zu können. Es war richtig, den eigenen Stolz zu relativieren und zu verstehen, dass wir alles, was uns gelingt, am allerwenigsten uns selbst zuschreiben sollten. Denn auch unser Einsatz, unser Fokus, unser Commitment: Alles ist uns gegeben. Es war richtig, das Gefühl zu haben, fliegen zu können, aber eben unbedingt dankbar zu sein dafür! Denn solche Dankbarkeit ist ein Ausdruck von Bescheidenheit. Ist ein Ausdruck dafür, dass man weiss, wieviel Glück man hat.
Dabei wird aber die Frage aufgeworfen, was mit all den anderen ist. Was mit den Misserfolgen jener ist, die auch gebetet haben. Mit dem Unglück derer, die es nicht geschafft haben oder die im Gegenteil sogar zurückgebunden wurden. Die Kranken. Die Verunglückten. Die Gescheiterten. Um nicht von denen zu sprechen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, die nie eine Chance hatten.
Warum musste ich als junger Pfarrer totgeborene Kinder zu Grabe tragen, und was sollte ich den jungen Eltern sagen? Dass es Gottes Wille war? In dieses Dilemma geraten wir, wenn wir unser Gelingen als persönliche Schickalslenkung durch Gott deuten: dass wir ihm auch das Misslingen zuschreiben müssen, das Leid und das Unglück. Ich musste einsehen, dass mein Glaube damals am Fussballturnier ein Kinderglaube war, der nicht das Ganze bedacht hatte – ein selektives Deuten von Schicksal auf der Sonnenseite. Auf einen Gott, der Erfolg und Gelingen verteilt wie Bonbons aus einer Zuckertüte an eine Kinderschar (wobei es nicht genug Bonbons für alle hat) und der die Bonbons vielleicht noch den Stärksten und Begabtesten gibt, verzichte ich lieber. Ich stelle mir Gott vor als eine Liebe, die keinen Unterschied macht. Eine universale Güte, die allen unterschiedslos gilt. Und wo Unterschiede bestehen, da haben wir, die Kinder Gottes, einen Auftrag. In diesem Sinne würde ich es stimmig finden, wenn die millionenschweren Fussballstars, die sich nach ihren Toren bekreuzigen (womit ich einverstanden bin, sofern es Ausdruck von Demut und Danbkarkeit ist und nicht Ausdruck eines Selbstverständnisses göttlicher Auserwählung!), später nicht in Steuerhinterziehungsskandalen Schlagzeilen machen würden, sondern beispielsweise als Botschafter für UNO-Kinderrechte, als Sport-, Bildungs- und Friedensförderer.
Der österreichische Philosoph Karl Popper hat sich mit der Frage beschäftigt, ob man Gottes Finger in der Weltgeschichte sehen kann. Ob, mit anderen Worten, die Weltgeschichte von Gott gelenkt wird und auch so gelesen werden kann. Popper hat das abgelehnt und sogar als unchristlich verurteilt. Mit Gründen, hinter die eine christliche Lehre meiner Ansicht nach nie mehr zurück kann. Ich glaube, dass auch die christliche Theologie hier noch viele Hausaufgaben machen muss. «Denn das Christentum lehrt, dass der weltliche Erfolg nicht entscheidend ist.»[1] Popper hielt überzeugend fest, dass für Christen niemals der weltliche Erfolg, sondern nur das Gewissen die Richtschnur ihres Handelns sein kann. Jesus, jung gekreuzigt und nach weltlichen Masstäben kaum besonders erfolgreich, ist das beste Beispiel dafür.
Wenn ich dieser Überlegung folge, dann komme ich zum Schluss, dass es dem lieben Gott vermutlich herzlich egal ist, ob wir Tore schiessen oder Medaillen gewinnen. Bestimmt freut ihn unsere Dankbarkeit – aber wenn wir im Ernst beten: «Dein Wille geschehe!», dann können wir damit keine Tore und Medaillen meinen. Wenn, dann allenfalls als Mittel zu anderen Zwecken. Was wir also daraus machen, das ist die entscheidende Frage!
Dass Dankbarkeit legitim und richtig ist, daran halte ich fest – wir sollten bei solcher Freude kein schlechtes Gewissen haben, sondern unsere Gaben schätzen. Aber was folgt am Ende aus allem? Dass diese Gaben uns nicht gehören.
Ob Gott mit uns auf dem Spielfeld oder im Stadion ist, bleibe dahingestellt. Ich vermute, allenfalls vielleicht als Zuschauerin. Was ich aber glaube: Am Ende wartet er auf uns an ganz anderen Strassenecken.
Herzlich verbunden,
Martin Kuse, reformierter Pfarrer in Möriken / Schweiz
[1] Popper, «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» Band II, Tübingen:Mohr, 7.Auflage UTB S.320
mich überzeugt die ruhe, von der die olympiasiegerin spricht. (1:02) da geht sie mit karl barth einig oder er mit ihr: wahre theologische aussagen seien, sagt er, von einem frieden begleitet. was auch für wahre sportliche leistungen zutreffen könnte, deren sinn nicht zuletzt darin besteht, dass sie andere in belastenden oder gar auswegslosen situation motivieren. jesus war durchaus erfolgreich. er sprach mit vollmacht und hatte eine grosse bewegung hinter sich. sich in die folter hineinzubegeben ist nicht ein zeichen von schwäche. damit rede ich nicht einem heldenchristentum das wort. solches bekennen, wie wir es bei der siegerin sehen, empfinde ich zuerst mal als peinlich. aber wie sie es gebracht hat inklusive gesang: meine vorkonditionierte empfindung verflog. was nun die problematisierung im beitrag angeht: es empfiehlt sich wohl, sich mitunter mit einem unvollkommenen erkennen aus teilen zufrieden zu geben, zufrieden zu sein, nicht zuletzt aufgrund der verheissung, dass es, wenn das vollkommene kommt, abgetan wird, sich – durchaus mit kontinuität – in das vollkommene wandelt. (1kor 13.9-12)
Mir gefällt dieser Text, auch das Ungelöste daran.
Wo ist G*tt? Wäre G*tt G*tt, wenn G*tt nur an einem Ort oder in einer Situation da wäre? Was, wenn G*tt im Sieg und in der Niederlage – und in der geschwisterlichen Versöhnung – da ist? Wäre G*tt überhaupt G*tt, wenn G*tt nicht in allem ganz da wäre?
G*tt ganz da, in dir und in mir?