
verfasst von Benjamin Rodriguez Weber
Das Weihnachtsgeschenk «Plan P» von Seiten des Ausbildungskonkordats kommt ungelegen: Das «Bodenpersonal» im Dienst in den Lokalgemeinden hat in der Woche vor Weihnachten eigentlich nicht einmal Zeit, um solche Schnapsideen zu registrieren, geschweige denn zu diskutieren. Da die 19 Konkordatskirchen aber anscheinend schon zu beraten beginnen, schreibe ich als Pfarrer im kleinen Dorfpfarramt nun doch ein paar Zeilen dazu.
Anspruchsvolles Dorfpfarramt
Ohne den entsprechenden Berufsgattungen nahetreten zu wollen: Man stelle sich vor, eine Schauspielerin tritt in Uerkheim das Pfarramt an. Damit die notwendigen Kompetenzen fürs Pfarramt halbwegs vorhanden sind, besucht sie ein dreimonatiges Einstiegsmodul. In Uerkheim erwartet sie eine Gemeinde mit rund 650 Mitgliedern, 2-3-mal im Monat ist ein Gottesdienst am Sonntagmorgen zu halten, dazu kommen Gottesdienste in Pflegezentren und Gottesdienste an Feiertagen. Sie ist verantwortlich für den Unterricht der 8. und 9. Klasse in Hinblick auf die Konfirmation. Terminplanung, Erstellung des Syllabus, Erarbeitung der Unterrichtsmaterialien usw. liegen bei ihr. Ein Konflager wird erwartet. 1- bis 2-mal pro Jahr finden halbtägige Anlässe und Aktivitäten mit Kindern vom Kindergarten bis zur 6. Klasse statt, die zusammen mit der Katechetik geplant werden, und erwartet wird, dass sie genauso ihren Teil zur Planung und Durchführung der Aktivitäten beiträgt, wie der Katechet. 10-12 Abdankungen pro Jahr fallen ausserhalb des 70%-Pensums an, teils schwere Fälle von Suiziden und jungen Verstorbenen. Dazu kommt die ganz eigene Lebenswelt in einem Dorf mit vielen landwirtschaftlichen Betrieben, wo aber ebenso viele Leute eine Stunde Arbeitsweg haben, die abends und am Wochenende die Ruhe abseits vom städtischen Betrieb schätzen. In der Seelsorge und bei Besuchen wird vorausgesetzt, das man sich von einer Haustür zur nächsten in die jeweilige Lebenswelt eindenken kann, unter Umständen ein tröstendes Wort findet. Ansätze der Personalführung sind in der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen unerlässlich. Es wird erwartet, dass man in den Kirchenpflegesitzungen das Pfarramt überblickt und seine Arbeit macht. Die restliche Kirchenpflege hat in der Regel weder die Zeit noch den Einblick in alle Arbeitsfelder, um das für die Pfarrperson übernehmen zu können. Viele administrative Aufgaben kommen im Einzelpfarramt automatisch dazu, die an anderen Orten ein Sekretariat übernimmt. Erwachsenenbildung und Seniorenarbeit habe ich bis hierhin noch gar nicht explizit angesprochen. Habe ich etwas vergessen? Bestimmt.
Ausbildung als Grundlage?
Nicht zu vergessen ist die theologische Ausbildung, die in der Regel mindestens 5 Jahre universitäres Studium beträgt. Die Erarbeitung theologischer Grundlagen und theologischer Tiefe kann nicht über Abkürzungen erreicht werden. Beim skizzierten «Plan P» gewinnt man den Eindruck, dass die theologische Bildung für den Pfarrberuf ein «nice to have» ist, denn es geht ja offensichtlich auch ohne.
Mein Punkt wird hoffentlich klar: Auch nach einem regulären Theologiestudium und dem 1-jährigen Vikariat ist man nur bedingt für eine Stelle wie das Pfarramt in Uerkheim vorbereitet. Wo sind die Pfarrvakanzen besonders dringend? In den Einzelpfarrämtern, die eben nicht eine 40%-Stelle neben weiteren 150 Stellenprozenten offen haben, sondern wo es heisst: Wir haben jemanden oder es läuft nichts. Wenn schon von einem Notfallplan gesprochen wird, dann sollten auch die Vakanzen im Blick behalten werden, die am dringlichsten sind. Es gibt bestimmt einzelne Ausnahmetalente, die sich ohne Ausbildung in einem Einzelpfarramt wie Uerkheim erfolgreich einfinden könnten. Aber trifft das auf jeden Akademiker und jede Akademikerin zu, die über 55 Jahre alt ist, ein Assessment hinter sich hat und ein dreimonatiges Einstiegsmodul absolviert hat? Tschuldigung, aber das ist doch Blödsinn. Die Notlösung würde zu Notfällen in den Kirchgemeinden führen und schlimmstenfalls tragen die Kirchen im Anschluss noch die Krankheitskosten von ausgebrannten Notlösungen.
Alternativen zu «Plan P»
Wenn man die bisherigen drei Artikel zum Thema (hier und hier und hier) durchliest, so bekommt man den Eindruck, dass diese Idee probeweise von Einzelpersonen mal in den Raum geworfen wurde, um zu schauen, was draus wird. Im besten Fall spannend als Ausgangspunkt für eine Diskussion. Aber als «ausformulierter» Vorschlag, der in 19 Kantonalkirchen in den Kirchenleitungen und den dazugehörigen Kommissionen diskutiert werden soll? Das ist ein grober Ressourcenverschleiss.
Es gibt sicher bessere Diskussionsgrundlagen, die an verschiedenen Stellen bereits diskutiert wurden und werden: Warum denn nicht eine Kompetenzerweiterung ordentlich ausgebildeter Sozialdiakonen? Weshalb nicht erfahrene Laienpredigerinnen einsetzen? Was spricht gegen eine Öffnung des Pfarramts für praxiserfahrene Pastorinnen und Pastoren mit theologischer Vorbildung, die den Übergang von der Freikirche in die Landeskirche wagen wollen? Im Interview mit ref.ch schliesst Thomas Schaufelberger diese letzte Möglichkeit kategorisch aus. Aber warum nicht alle diese Möglichkeiten in Betracht ziehen? Wir sprechen ja von Notlösungen, die höchstens 10 Jahre dauern würden, und allemal besser sind als der vorgeschlagene «Plan P».
Es würde der Konkordatsleitung vielleicht gut tun, wieder einmal ein paar Jahre in die Praxis in eine Kirchgemeinde vor Ort zu gehen. Dann wären ein paar Stellen für ein paar Jahre abgedeckt und die Praxisauffrischung würde vielleicht in zukunftstauglicheren Lösungsansätzen für den Personalnachwuchs münden.
Darum: Danke Thomas Schaufelberger für die Idee «How not to reform».
verfasst von Benjamin Rodriguez Weber
Wunderbar dieser Artikel von Herrn Rodriguez. Er zählt viele Arbeiten eines Pfarrers auf. Welche der geforderten Kompetenzen müssen zwingen an der Hochschule erworben werden? Meine Antwort: Bei weitem nicht alle. Wo liegen also die Chancen? Indem die Ausbildung der Pfarrer/Innen besser an ihren Berufsaltag angepasst werden. Wie das geschehen soll? Womöglich genau dadurch, dass die Ausbildung zum grossen Teil von der Hochschule weggenommen wird.
Das hätte auch den willkommenen Nebenefekt, dass die Lohnkosten masssiv gesenkt werden können. Nur so können Pfarrstellen und Kirchgemeinden im ländlichen Raum erhalten werden.
Glauben sie mir: Zusammenlegen wird in Kirchgemeinden nicht immer funktionieren. Negative Erfahrungen sind diesbezüglich bereits gemacht worden. Nach einer Fusion werden die Mitglieder sich aufteilen. Die einen werden in einer Kirche wieder auftauchen, wo für sie die Beziehungen und die Glaubensinhalte stimmen. Die anderen werden den Austritt geben. Vieleicht nicht sofort, aber immer öfter.
Es macht also durchaus Sinn, QuereinsteigerInnen den Weg zu ebnen. Stimmen muss die geistige Ausrichtung am HERRN Jesus. Das ist das Zentrum. Diese Kompetenz kann durchaus auch ausserhalb von Hochschulen erworben werden. Demütiges dienen, Einfühlungsvermögen und vieles, was Herr Rodriguez beschrieben hat, kommt dazu. Da hat er recht. Es wird viel verlangt von Pfarrpersonen.
Es ist ein schöner Beruf, mit vielen Möglichkeiten seine Kompetenzen und Fähigkeiten zur Förderung und Verbreitung des Evangeliums einzubringen. Es lohnt sich, die Anforderungen an die Pfarrpersonen an die heutigen Gegebenheitn anzupassen.
Danke, Gerold Gloor, für den Beitrag zu dieser wichtigen Diskussion. Es sind sich alle einig, dass sich das Berufsbild der Pfarrerin resp. des Pfarrers verändern muss. Gerne möchte ich die Hauptforderung, dass grosse Teile der Pfarrerausbildung von der Hochschule genommen werden sollen, kommentieren, damit die Diskussion auf einer sachlichen Grundlage weitergeführt werden kann.
Hier wird impliziert, dass die Pfarrerausbildung jetzt vollständig an einer Hochschule stattfindet. Das ist nicht der Fall. Die Pfarrerausbildung streng genommen vollständig in der Kirche statt.
Der Weg ins Pfarramt, wie er bisher aussieht, ist zweiteilig.
Der erste Teil ist die akademisch-theologische Bildung an einer Universität. Hier geschieht keine praktische Berufsausbildung für das Pfarramt, sondern die Bildung einer (inhaltlich und formal) reflexionsfähigen Person. Es geht darum, sich in die wissenschaftlichen Grundlagen zur Reflexion des christlichen Glaubens und Lebens einzuarbeiten, einen Überblick über das Ganze des momentanen Wissensstandes zu gewinnen, selbständig an dessen Fortentwicklung teilzunehmen und sich innerhalb des Spektrums aller Möglichkeiten, den christlichen Glauben (und von dort her die Wirklichkeit, auf die er sich bezieht) zu verstehen, mit profunden Argumenten zu positionieren. Das setzt voraus, dass man die anderen Möglichkeiten und ihre Argumente kennt und bereit ist, weiterhin neue Möglichkeiten kennenzulernen und sich wiederum neu zu positionieren.
Konkret gesagt, lernt man an der Hochschule nicht, wie man eine gute Weihnachtspredigt schreibt, sondern man fragt, was überhaupt eine Predigt ist, was die historischen Kontexte und geistigen Voraussetzungen der beiden Weihnachtsgeschichten im Neuen Testament sind und wie man das dort erzählte Weihnachtswunder mit heutigen Denkmitteln durchdringen kann, um dann zu einer eigenen, argumentativ verantworteten Meinung zu kommen. Aus der Hochschule geht man darum nicht als Pfarrerin oder Pfarrer, die oder der jährlich den Weihnachtsgottesdienst durchführen kann, sondern als Theologin oder Theologe, die oder der den Weihnachtsgottesdienst durchdenken kann.
Der zweite Teil ist die kirchlich-praktische Ausbildung im ekklesiologisch-praktischen Semester (EPS), dem Lernvikariat und der Weiterbildung in den ersten Amtsjahren (WeA). Diese geschieht in der Kirche und eben nicht an einer Hochschule. Hier werden aus Theologinnen und Theologen Pfarrerinnen und Pfarrer. Hier geht es um die praktischen Skills für das Pfarramt. Hier werden Methoden und Abläufe für den Berufsalltag eingeübt. Man lernt Interventionen in Seelsorgegesprächen und didaktische Methoden für den kirchlichen Religionsunterricht kennen. Hier übt man ein, wie man eine Predigt nachvollziehbar aufbaut oder wie man in einem Gottesdienst überzeugend auftritt. Streng genommen ist nur dieser Teil die Pfarrerausbildung. Dieser Teil ist aber nicht unverbunden zum Ersten. Denn die Kenntnisse und Reflexionsfähigkeit, die man im akademischen Theologiestudium erworben hat, werden in diesem Teil des Wegs ins Pfarramt (zwingend) vorausgesetzt.
Mit dieser Unterscheidung habe ich nur den aktuellen Weg ins Pfarramt vorgestellt. Zum „Plan P“ ist damit noch nichts gesagt. Von dieser Unterscheidung her ergeben sich aber Fragen an die bisherigen Kommentare:
Welche Kompetenzen soll man von der Hochschule nehmen? Werden diese überhaupt dort erworben oder gehören sie bereits jetzt in die kirchlich-praktischen Ausbildung?
Befähigt die Ausrichtung auf den Herrn Jesus bereits für das Pfarramt oder braucht es nicht zusätzlich zwingend die Fähigkeit, darüber profund zu reflektieren und nachvollziehbar darzulegen, was das denn jetzt genau bedeutet (für die Welt, die Gemeinde, den einzelnen Menschen)?
Inwiefern soll die akademische Bildung ersetzbar sein und wodurch würden die entsprechenden Reflexionskompetenzen eingeübt?
Weshalb muss das Pfarramt weiterhin nur akademisch sein? Katholiken wie Reformierte kämpfen mit Fachkräftemangel: Weshalb nicht über den Schatten springen?
Wie wäre es mit einer ökumenischen Pfarrer:innen-Lehre mit eidgenössischem Fähigkeitsausweis? Die Berufsmittelschule könnte den Weg für eine akademische Weiterbildung offen halten.
Akademier wären wohl, kategorisch gesehen, die ungeeignesten Kandidaten für ein Pfarramt, egal welches Studium, Theologie oder anderers, vorhanden ist.
Seelsorger von Freikirchen wären wohl, kategorisch gesehen, die geeignesten Kandidaten für den Aufbau von lebhaften, vollen Kirchen.
die betreffenden müssen aber wissen, was sie tun: biblisch, theologisch, kirchengeschichtlich, kontext der religionen, philosophien, psychologien. . . beim lesen dieses beitrags mein gedanke: „wie konzertlokale könnte auch die kirche ihre ‚anspruchsvolleren veranstaltungen‘ durch discos querfinanzieren.“ aber eben: man muss einordnen können.
https://www.reflab.ch/jesus-is-back-als-dj/